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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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in der Scheide - das macht einen nicht u n bedingt zu einer echten Künstlerin.
    Wenn es das täte, würde Misty die Sixtinische Kapelle ausm a len. Stattdessen knüllt sie den nächsten feuchten Bogen Aqu a rellpapier zusammen. Vor ihrem kleinen Gaubenfenster wird der Sandstrand von der Sonne geb a cken. Die Wellen rauschen und brechen. M ö wen hängen zitternd im Wind, schwebende weiße Drachen. Kinder bauen Sandburgen und plantschen in der a n steigenden Flut.
    Alle ihre Sonnentage gegen ein Meisterwerk einzuta u schen, das wäre schon was, aber das hier... der ganze Tag hat nur einen Murks nach dem anderen gebracht. Auch mit ihrem komplett fixierten Bein und dem kleinen Pis s beutel sehnt Misty sich nach draußen. Als Künstler org a nisiert man sein Leben so, dass man Gelegenheit zum M a len, einen gewissen Zeitraum frei hat, aber das garantiert noch nicht, dass man irgendetwas schafft, für das sich der ganze Aufwand lohnt.
    Die Wahrheit ist: Wäre Misty jetzt am Strand, würde sie zu di e sem Fenster hinaufsehen und davon träumen, m a len zu können.
    Die Wahrheit ist: Egal, an welchen Ort du dich hinsehnst, es ist der falsche.
    Misty steht, oder balanciert eher, an einen Stuhl gelehnt, vor i h rer Staffelei und sieht aus dem Fenster in Richtung der Landspi t ze von Waytansea Island. Zu ihren Füßen hockt Tabbi in der Sonne und bemalt den Verband mit bunten Filzstiften. Das tut wirklich weh. Schlimm genug, dass Misty den größten Teil ihrer Kindheit allein zu Hause verbracht hat, in Malbüchern gemalt und davon geträumt hat, Künstlerin zu sein. Jetzt lebt sie dieses ungute Verhalten auch noch ihrer Tochter vor. All die Sandk u chen, die Misty nie gebacken hat, wird nun auch Tabbi nicht b a cken. Oder was Teenager sonst noch so tun. All die Dr a chen, die Misty nicht hat steigen lassen, die Fangspiele, die Misty nicht mitgemacht hat, all die Löwenzähne, die Misty nicht gepflückt hat: all diese Versäumnisse wird Tabbi nun wiederholen.
    Die einzigen Blumen, die Tabbi je gesehen hat, hat sie bei ihrer Großmutter gesehen, gemalt um den Rand einer Te e tasse.
    In wenigen Wochen fängt die Schule an, und Tabbi ist immer noch ganz bleich, weil sie die ganze Zeit im Haus gewesen ist.
    Mistys Pinsel verpfuscht mal wieder das Blatt vor ihr, und sie sagt: »Tabbi, Schatz?«
    Tabbi schmiert mit einem roten Filzstift auf dem Verband he r um. Der mit Harz getränkte und erhärtete Stoff ist so dick, dass Misty nichts spürt.
    Als Kittel trägt Misty eines von Peters alten blauen Arbeit s hemden mit einer dicken, mit falschen Rubinen besetzten Br o sche an der Brusttasche. Falsche Rubine und Glasdiamanten. Tabbi hat die Schachtel mit Modeschmuck mitgebracht, den ga n zen Schrott, die Broschen und Armbänder und Ohrringe, die Misty von Peter auf der Kunstakademie geschenkt beko m men hat.
    Die du deiner Frau geschenkt hast.
    Misty trägt dein Hemd, und sie sagt zu Tabbi: »Warum gehst du nicht mal für ein paar Stunden nach draußen?«
    Tabbi legt den roten Stift weg, nimmt einen gelben und sagt: »Omi Wilmot hat es mir verboten.« Tabbi kritzelt und sagt: »Sie hat mir gesagt, ich soll so lange bei dir bleiben, wie du wach bist.«
    Am Morgen war Angel Delaportes brauner Sportwagen auf dem Parkplatz des Hotels erschienen. Angel, einen weißen Strandhut auf dem Kopf, war ausgestiegen und zum Eingang gegangen. Misty hatte lange gewartet, dass Paulette vom Em p fang zu ihr raufkommen und ihr sagen würde, es sei Besuch für sie da. Aber nein. Eine halbe Stunde später kam Angel wieder heraus und ging die Eingangsstufen hinunter. Er legte den Kopf nach hinten, hielt mit einer Hand seinen Hut fest und suchte die Hotelfenster ab, das ganze Chaos von Schildern und Firmenl o gos. Firmengraffiti. Konkurrierende Unsterblichkeiten. Dann setzte er seine Sonnenbrille auf, glitt in seinen Sportw a gen und fuhr davon.
    Vor ihr steht das nächste missratene Bild. Ihre Perspekt i ve taugt überhaupt nichts.
    Tabbi sagt: »Omi hat mir gesagt, ich soll dir helfen, dass dir was einfällt.«
    Statt zu malen, sollte Misty ihrem Kind lieber was be i bringen - Buchhaltung oder Kostenanalyse oder wie man Fernseher rep a riert. Irgendwas Handfestes, womit sie ihre Rechnungen beza h len kann.
    Kurz nachdem Angel Delaporte weggefahren war, erschien D e tective Stilton in einem beigefarbenen Dienstwagen der Bezirk s regierung. Er ging ins Hotel und wenige Minuten später wieder zu seinem Auto. Er stand auf dem Parkplatz, hielt sich schützend

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