Das letzte Revier
ein sexistisches Verbrechen ist, dass das Opfer homosexuell war.«
Leise Schritte auf der Treppe sind zu hören, und Aaron tritt mit einem Tablett ins Zimmer, auf dem eine Flasche und drei Whiskygläser mit dem eingravierten Wappen von Virginia stehen. »Ich muss gar nicht erwähnen, dass so etwas unsere Arbeit dort draußen ernsthaft kompromittieren könnte.« Sie spricht mit Bedacht, während Aaron Black Bush eingießt. Die Tür zum privaten Arbeitszimmer des Gouverneurs geht auf, und Mitchell kommt in einer Wolke von Zigarrenrauch herein, ohne Smoking und Fliege. »Kay, tut mir Leid, dass ich Sie habe warten lassen«, sagt er und umarmt mich. »Es gibt Ärger. Vielleicht hat Edith Ihnen schon angedeutet, um was es geht.«
»Sie war gerade dabei«, sage ich.
18
Gouverneur Mitchell ist sichtlich aufgebracht. Seine Frau steht auf, damit wir uns ungestört unterhalten können, und die beiden wechseln rasch ein paar Worte, weil noch eine der Töchter angerufen werden muss, dann wünscht mir Edith eine gute Nacht und geht hinaus. Der Gouverneur zündet sich eine neue Zigarre an. Er ist ein zerfurchter, gut aussehender Mann mit dem kräftigen Körper eines ehemaligen Footballspielers und Haar so weiß wie karibischer Sand. »Ich wollte mich morgen bei Ihnen melden, wusste aber nicht, ob Sie die Feiertage in der Stadt verbringen«, beginnt er. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
Whisky brennt mit jedem Schluck in meiner Kehle, während wir höfliche Konversation über Weihnachtspläne und den Stand der Dinge am Virginia Institute of Forensic Science and Medicine machen. Bei jedem Atemzug denke ich an Detective Stanfield. Der Dummkopf. Er hat offensichtlich sensible Informationen weitergegeben, und das ausgerechnet an einen Politiker, seinen Schwager Dinwiddie. Der Gouverneur ist ein scharfsinniger Mann. Und er hat seine Karriere als Staatsanwalt begonnen. Er weiß, dass ich wütend bin und warum.
»Der Abgeordnete Dinwiddie hat die Neigung, in Hornissennestern zu stochern«, bestätigt mir der Gouverneur den Unruhestifter. Dinwiddie ist eine militante Nervensäge, der die Welt bei jeder Gelegenheit daran erinnert, dass seine Vorfahren, wenn auch sehr indirekt, so doch von Häuptling Powhatan abstammen, dem Vater von Pocahontas.
»Es war nicht richtig vom Detective, Dinwiddie irgendetwas zu erzählen«, sage ich, »und genauso falsch war es, dass Dinwiddie es Ihnen oder jemand anders weitererzählt hat. E s handelt sich um ein Verbrechen und nicht um den vierhundertsten Geburtstag von Jamestown oder Tourismus oder Politik. Es geht um einen Mann, der höchstwahrscheinlich gefoltert und in einem brennenden Motelzimmer zurückgelassen wurde.«
»Keine Frage«, erwidert Mitchell. »Aber es gibt gewisse Gegebenheiten, die wir berücksichtigen müssen. Ein Mord aus sexistischen Motiven, der irgendwie mit Jamestown in Verbindung gebracht würde, wäre eine Katastrophe.«
»Ich weiß von keiner Verbindung zu Jamestown, außer dass das Opfer in einem Motel in der Gegend von Jamestown abstieg, das einen Sondertarif für Geschäftsleute namens Sechzehnnullsieben offeriert.« Ich verliere allmählich die Geduld. »Angesichts der vielen Publicity, die Jamestown zurzeit schon bekommt, genügt allein diese Information, damit die Medien ihre Antennen aufstellen.« Er rollt die Zigarre zwischen den Fingerspitzen und hebt sie langsam an die Lippen. »Die Feierlichkeiten im Jahr 2007 sollen Virginia Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Dollar bescheren. Es ist unsere Weltausstellung, Kay. Nächstes Jahr gedenkt man Jamestown mit einer Münze, einem Vierteldollar. Fernsehteams besuchen scharenweise die Ausgrabungsstätte.« Er steht auf und stochert im Feuer, und ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, als er noch verknitterte Anzüge trug, gehetzt wirkte und der Schreibtisch in seinem Büro unter Akten und Büchern schier zusammenbrach. Wir haben viele Fälle geme insam vor Gericht vertreten, einige davon sind die schmerzhaftesten Meilensteine meiner Karriere, die willkürlichen, grausamen Verbrechen, deren Opfer mich noch immer heimsuchen: die Zeitungsausträgerin, die auf ihrem Weg verschleppt, vergewaltigt und sterbend liegen gelassen wurde; die alte Frau, die beim Aufhängen der Wäsche einfach so erschossen wurde; die Menschen, die von den Briley-Brüdern umgebracht wurden. Mitchell und ich hatten wegen vieler schrecklicher Gewalttate n gemeinsam gelitten, und ich vermisste ihn, als er die Karriereleiter erklomm.
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