Das letzte Revier
hatte etwas damit zu tun. Ich bin überzeugt, er hatte sehr viel damit zu tun. »Sie ist wirklich gut Kay.« Seine Nicht-Antwort ist auch eine Antwort. Ich akzeptiere das. Ich dränge ihn nicht. Ich frage ihn nur, woher er sie kennt.
»Wie Sie wissen, studierten wir beide Jura an der University of Virginia«, sagt er. »Und als Generalstaatsanwalt hatte ich einen Fall. Sie müssten sich daran erinnern, weil die Gerichtsmedizin auch damit zu tun hatte. Diese Frau aus New York, die einen Monat bevor sie ihren Mann in einem Hotel in Fairfax ermordete, eine riesige Lebensversicherung für ihn abschloss. Sie versuchte, es so hinzustellen, als hätte er sich in selbstmörderischer Absicht erschossen.«
Ich erinnere mich nur zu gut. Sie behauptete in dem Prozess unter anderem, mein Büro und ich hätten gegen eine stattliche Summe mit der Versicherungsgesellschaft zusammengearbeitet und die Berichte gefälscht, damit ihr nichts ausbezahlt würde. »Berger wurde eingeschaltet, weil sich herausstellte, dass der erste Mann der Frau ein paar Jahre zuvor unter verdächtigen Umständen in New York gestorben war«, sagt Mitchell. »Scheint ein älterer, zerbrechlicher Mann gewesen zu sein, der in der Badewanne ertrank, einen Monat nachdem seine Frau eine gigantische Lebensversicherung für ihn abgeschlossen hatte. Der Gerichtsmediziner fand blaue Flecken, die auf einen Kampf hindeuteten, und zögerte die endgültigen Berichte hinaus in der Hoffnung, dass die Polizei etwas finden würde. Was nicht der Fall war. Die Staatsanwaltschaft konnte damals keinen Fall daraus konstruieren. Dann hat die Frau den Gerichtsmediziner verklagt. Wegen Verleumdung, emotionaler Nötigung und solchem Schwachsinn. Ich hatte Kontakt zur New Yorker Staatsanwaltschaft, vor allem zu Bob Morgenthau, dem Oberstaatsanwalt, aber auch zu Jaime, um die Fälle zu vergleichen.«
»Wird das FBI nicht versuchen, Chandonne zum Reden z u bringen? Über seine Familie. Sie werden ihm einen Deal anbieten«, sage ich. »Und dann?«
»Darauf können Sie wetten«, erwidert Mitchell ernst. »Das ist es also.« Jetzt weiß ich Bescheid. »Man garantiert ihm, dass er nicht zum Tode verurteilt wird. Das ist der Deal.«
»Morgenthau ist kein Freund der Todesstrafe«, sagt er. »Aber ich bin es. Ich bin ein harter, alter Vogel.« Der Gouverneur hat mir gerade einen Hinweis über die Verhandlungen gegeben, die stattgefunden haben. Das FBI knöpft sich Chandonne vor. Im Gegenzug wird in New York gegen Chandonne verhandelt, wo ihm nicht die Todesstrafe droht. Gleichgültig, was passiert, Gouverneur Mitchell steht nicht schlecht da. Es ist nicht länger sein Problem. Es ist nicht länger Virginias Problem. Wir provozieren keine internationalen Reibereien, indem wir Chandonne eine Nadel in den Arm stecken.
»Es ist eine Schande«, fasse ich zusammen. »Ich halte nichts von der Todesstrafe, Mike, aber es ist eine Schande, dass ein politischer Deal ausgehandelt wurde. Ich habe mir gerade stundenlang Chandonnes Lügen angehört. Er wird niemandem helfen, seine Familie dranzukriegen. Niema ls. Und ich sage Ihnen noch etwas. Wenn er in Kirby oder Bellevue endet, wird er irgendwie rauskommen. Er wird wieder morden. Einerseits bin ich also froh, dass eine hervorragende Staatsanwältin und nicht Righter den Fall bearbeitet. Righter ist ein Feigling. Aber andererseits bedauere ich, dass wir die Kontrolle über Chandonne verloren haben.« Mitchell beugt sich vor und stützt die Hände auf die Knie, eine Stellung, die signalisiert, dass unser Gespräch zu Ende ist. Er wird nicht länger mit mir über die Angelegenheit diskutieren, und auch das spricht Bände. »Schön, dass Sie gekommen sind, Kay«, sagt er. Er hält meinem Blick stand. Seine Art zu sagen: »Stellen Sie keine Fragen mehr.«
19
Aaron führt mich die Treppe wieder hinunter und lächelt mich an, während er mir die Tür aufhält. Der Polizist winkt mir zu, als ich durch das Tor auf den Capitol Square fahre. Während das Haus in meinem Rückspiegel verschwindet, habe ich das Gefühl von etwas Abgeschlossenem, Endgültigem. Etwas ist zu Ende. Mein Leben, wie es bisher war, und ich verspüre einen Hauch Misstrauen gegenüber einem Mann, den ich bislang sehr bewunderte. Nein, ich glaube nicht, dass Mitchell etwas Unrechtes getan hat. Aber ich weiß, dass er nicht ganz ehrlich mit mir war. Er ist dafür verantwortlich, dass Chandonne sich nicht im Bereich unserer Jurisdiktion befindet, und der Grund dafür ist die Politik,
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