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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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von Kronleuchter zu Kronleuchter bis zum anderen Ende des Hauses weitergegeben wird. Zwischen den beiden Ballsälen steht der Weihnachtsbaum, der mit roten Kugeln und weißen Lichtern dekoriert ist. Wände und Stuck wurden renoviert und erinnern an grauweißes Wedgwood. Aaron nimmt mir den Mantel ab. Er lässt mich wissen, dass es ihm gut gehe und er sich freue, mich zu sehen. Er ist ein Meister in der Kunst, mit wenigen leisen Worten Höflichkeiten auszudrücken. Zu beiden Seiten der Eingangshalle befindet sich jeweils ein etwas steifer Salon, eingerichtet mit Brüsseler Teppichen und exquisiten Antiquitäten. Die Tapete im Herrenzimmer wird von einer griechischrömischen Bordüre abgeschlossen, im Damenzimmer von einer Blumenbordüre. Hier empfängt der Gouverneur Gaste, ohne sie wirklich ins Haus lassen zu müssen. Den Besuchern wird gleich neben der Eingangstür eine Audienz gewährt, es wird nicht erwartet, dass sie lange bleiben. Aaron führt mich an diesen unpersönlichen historischen Räumen vorbei eine Trepp e hinauf, die zu den privaten Wohnräumen der Familie führt. Ich betrete ein Wohnzimmer, in dem auf einem Fichtenboden bequeme Sessel und Sofas stehen und Edith Mitchell mich begrüßt. Sie trägt einen roten Hosenanzug aus Seide und riecht leicht exotisch, als sie mich umarmt.
    »Wann spielen wir wieder Tennis?«, fragt sie mich und starrt meinen Gips an.
    »Das ist ein unnachsichtiger Sport, wenn man ein Jahr ausgesetzt, einen gebrochenen Arm hat und wieder einmal gegen das Rauchen kämpft«, sage ich.
    Mein Hinweis auf das vergangene Jahr entgeht ihr nicht. Die, die mich kennen, wissen, dass ich nach Bentons Ermordung in einem dunklen Abgrund aus hektischer, permanenter Betriebsamkeit fiel. Ich traf mich nicht mehr mit Freunden. Ich ging nicht aus und lud keine Gäste zu mir nach Hause ein. Ich machte kaum Sport. Ich arbeitete und arbeitete. Ich sah nichts von dem, was um mich herum passierte. Ich hörte nicht, was die Leute mir erzählten. Ich fühlte nichts. Essen hatte keinen Geschmack mehr. Das Wetter war mir egal. Mit Annas Worten: Ich litt unter sensorischer Deprivation. Trotzdem machte ich keine Fehler bei der Arbeit. Im Gegenteil, ich vermied sie obsessiv. Aber meine Abwesenheit als menschliches Wesen war der Atmosphäre im Büro abträglich. Ich war keine gute Verwalterin, und das war irgendwann nicht mehr zu übersehen Und ich war allen, die ich kenne, eine schlechte Freundin. »Wie geht es Ihnen?«, erkundigt sie sich. »Den Umständen entsprechend.«
    »Bitte setzen Sie sich. Mike telefoniert gerade noch«, sagt Edith »Wahrscheinlich hat er auf der Party noch nicht mit genügend Leuten geredet.« Sie lächelt und verdreht die Augen, als spräche sie über einen ungezogenen Jungen.
    Edith hat die Rolle der First Lady nie wirklich übernommen, jedenfalls nicht so, wie es Virginia traditionell gewohnt war, un d obwohl sie dafür kritisiert wurde, gilt sie gleichzeitig als starke, moderne Frau. Sie ist Archäologin, die ihre berufliche Karriere nicht aufgab, als ihr Mann Gouverneur wurde, und sie meidet offizielle Anlässe, die sie als schikanös oder als Zeitverschwendung betrachtet. Andererseits ist sie ihrem Mann eine treu ergebene Partnerin und hat drei Kinder groß gezogen, die erwachsen oder auf dem College sind. Sie ist Ende vierzig, hat dunkelbraunes, schulterlanges Haar, das sie zurückgekämmt trägt. Ihre Augen sind bernsteinfarben, und Gedanken und Fragen lodern darin. Etwas beschäftigt sie. »Ich wollte Sie auf der Party beiseite nehmen. Kay, ich bin froh, dass Sie angerufen haben. Danke, dass Sie noch gekommen sind. Ich mische mich nicht gern in Ihre Fälle, wie Sie wissen«, fährt sie fort, »aber ich muss sagen, dass mich der Fall, von dem ich gerade in der Zeitung gelesen habe, wirklich beunruhigt - der Mann, den man in dem schrecklichen Motel in der Nähe von Jamestown gefunden hat. Mike und ich sind natürlich sehr besorgt wegen der Verbindung zu Jamestown.«
    »Ich weiß von keiner Verbindung zu Jamestown.« Ich bin verwirrt, und mein erster Gedanke ist, dass sie Informationen hat, die mir bislang vorenthalten wurden. »Von keiner Verbindung zu den archäologischen Ausgrabungen. Nicht, dass ich wüsste.«
    »Verbindungen muss man herstellen«, sagt sie lapidar. Jamestown ist Ediths Leidenschaft. Aus beruflichen Gründen hat sie seit vielen Jahren dort zu tun, und sie betätigt sich in ihrer jetzigen politischen Position als Anwältin von Jamestown. Sie hat Pfähle und

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