Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
erzählt, von denen ich nicht sicher war, dass ich sie wusste, und ich habe sie nie für diese Sitzungen bezahlt. Sie unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Rocky Caggiano könnte Anna vorladen, und als ich sie jetzt ansehe, vermute ich, dass genau das passiert ist. Ich nehme ihr das Glas mit dem Scotch ab, und wir blicken einander in die Augen.
    »Irgendetwas ist passiert«, sage ich.
    Sie sieht weg. Ich male mir das Szenario aus. Berger wird die Vorladung aufheben lassen. Es ist lächerlich. Caggiano versucht, mich zu schikanieren, mich schlicht und einfac h einzuschüchtern, und es wird ihm nicht gelingen. Scheißkerl. Ich habe alles herausgefunden und gelöst, in null Komma nichts, weil ich ein Profi darin bin, alten Wahrheiten auszuweichen, die mein Inneres betreffen, mein Wohlbefinden, meine Gefühle. »Erzähl es mir, Anna«, sage ich. Es wird still in der Küche. Lucy und McGovern sind verstummt. Lucy kommt zu mir und nimmt mich in den Arm. »Wir sind da für dich«, sagt sie.
    »Und wie.« McGovern hält den Daumen hoch. Die beiden ziehen sich ins Wohnzimmer zurück. Ihr Bemühen, mich zu beruhigen, lässt mich Unheilvolles ahnen. Anna blickt mich an, und zum ersten Mal sehe ich Tränen in den Augen meiner stoischen österreichischen Freundin. »Ich habe etwas Schreckliches getan, Kay.« Sie räuspert sich und füllt mit hölzernen Bewegungen ein weiteres Glas mit Eiswürfeln. Einer davon fällt auf den Boden und verschwindet außer Reichweite hinter dem Abfalleimer. »Dieser Hilfssheriff. Ich konnte es nicht glauben, als es heute Morgen klingelte. Und da stand dieser Hilfssheriff mit der Vorladung. Mir so etwas nach Hause zu bringen ist schon schlimm genug. Normalerweise stellen sie sie mir in die Praxis zu. Das ist nichts Ungewöhnliches. Wie du weißt, werde ich hin und wieder als Gutachterin vorgeladen. Ich kann nicht fassen, dass er mir das angetan hat. Ich habe ihm vertraut.«
    Zweifel. Ich will es nicht wahrhaben. Der erste Hauch von Angst streift mein zentrales Nervensystem. »Wer hat dir das angetan?«, frage ich. »Rocky?«
    »Wer?« Sie blickt verwirrt drein.
    »O Gott«, murmle ich. »O Gott.« Ich lehne mich gege n die Abstellfläche. Es geht nicht um Chandonne. Es kann nicht sein. Wenn es nicht Caggiano war, der Anna vorgeladen hat, dann bleibt nur noch eine Möglichkeit, und die hat nichts mit Berger zu tun. Die New Yorker Staatsanwaltschaft hat natürlich keinen Grund, mit Anna zu sprechen. Ich denke an den merkwürdigen Anruf von meiner Bank, die Nachricht von AT&T, an Righter s Verhalten und den Ausdruck in seinem Gesicht, als er mich letzten Samstagabend in Marinos Wagen sah. An den plötzlichen Wunsch des Gouverneurs, mich zu sprechen, sein ausweichendes Verhalten, an Marinos schlechte Laune und die Art, wie er mich gemieden hat, und an Jacks plötzlichen Haarausfall und seine Angst, Boss zu werden. Alle Puzzleteile fallen an ihren Platz und bilden ein unglaubliches Ganzes. Ich stecke in Schwierigkeiten. O Gott, ich stecke in großen Schwierigkeiten. Meine Hände beginnen zu zittern. Anna spricht weiter, stottert, stolpert über Worte, als würde sie unfreiwillig auf die Sprache zurückgreifen, die sie als erste im Leben gelernt hat, und das ist nicht Englisch. Sie kämpft. Sie bestätigt, was ich jetzt gezwungen bin zu glauben. Anna wurde vorgeladen von einer Anklagejury, die darüber befinden soll, ob Anklage gegen mich erhoben wird oder nicht. Diese Jury soll entscheiden, ob genügend Beweise vorliegen, um mich hier in Richmond des Mordes an Diane Bray anzuklagen. Anna wurde benutzt, sagt sie. Sie wurde hintergangen.
    »Wer hat dich hintergangen? Righter? Steckt Buford dahinter?«, frage ich.
    Anna nickt. »Das werde ich ihm nie verzeihen. Das habe ich ihm gesagt.«
    Wir gehen in das Wohnzimmer, wo ich nach einem schnurlosen Telefon auf einem eleganten Eibenholzständer greife. »Du weißt dass du mir das nicht zu erzählen brauchst, Anna.« Ich versuche es bei Marino zu Hause. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. »Ich bin sicher, Buford würde es nicht gefallen. Deswegen solltest du vielleicht nicht mit mir reden.«
    »Mir ist egal, was ich tun oder nicht tun sollte. Kaum hatte ich die Vorladung in der Hand, hat Buford angerufen und mir erklärt, was er von mir will. Ich habe sofort Lucy angerufen.« Anna spricht weiterhin gebrochenes Englisch und starrt dabei McGovern ausdruckslos an. Anna scheint durch den Kopf zu gehen, dass sie keine Ahnung hat, wer McGovern ist ode r

Weitere Kostenlose Bücher