Das letzte Revier
sehr persönlich, Kay. Sie hat Gerüchte über dich in die Welt gesetzt. Lügen. Sie hat im Internet unter deinem Namen einen medizinischen Chat geführt, dich zum Narren gehalten und dich beim Minister für Öffentliche Sicherheit und sogar beim Gouverneur in Schwierigkeiten gebracht.«
»Ich war gerade beim Gouverneur. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass ich Schwierigkeiten mit ihm habe«, sage ich und finde es gleichzeitig merkwürdig. Wenn Mitchell weiß, dass gegen mich ermittelt wird, und er muss es wissen, warum nahm er dann meine Kündigung nicht an und dankte Gott, mich und mein verkorkstes Leben los zu sein?
»Außerdem hat sie Marinos Karriere gefährdet, weil er dein Kumpel ist«, fährt Anna fort.
Ich denke sofort, dass es Marino nicht gefallen würde, als mein Kumpel bezeichnet zu werden. Als wäre es sein Stichwort gewesen, klingelt er an der Einfahrt.
»Mit anderen Worten, sie hat deine Karriere sabotiert.« Anna steht auf. »Richtig? Hast du mir das nicht erzählt?« Sie drückt auf einen Knopf in einer Konsole an der Wand. Plötzlich wirkt sie wieder energisch. Zorn verscheucht ihre Depression. »Ja?
Wer ist da?«, sagt sie streng in die Sprechanlage.
»Ich bin's, Baby.« Marinos unhöflicher Ton und das Motorengeräusch seines Wagens erfüllen das Wohnzimmer. »Wenn er mich noch einmal Baby nennt, bringe ich ihn um.« Anna wirft die Hände in die Luft. Sie lässt ihn ins Haus, und dann betritt Marino das Wohnzimmer.
Er ist so hastig von zu Hause aufgebrochen, dass er nicht einmal einen Mantel angezogen hat. Er trägt nur einen grauen Trainingsanzug und Tennisschuhe. Er ist verdattert, als er McGovern im Schneidersitz am Boden vor dem Feuer sitzen sieht. Sie blickt zu ihm auf.
»Na, so was«, sagt Marino. »Wie schauen Sie denn aus!«
»Freut mich, Sie zu sehen, Marino«, entgegnet McGovern. »Kann mir mal jemand sagen, was zum Teufel hier los ist?« Er schiebt einen Sessel näher ans Feuer und setzt sich, sieht einen nach dem anderen an, versucht, die Lage zu erkunden, stellt sich begriffsstutzig, als wüsste er nicht längst Bescheid. Ich glaube, er weiß Bescheid. Deswegen hat er sich so sonderbar verhalten. Wir machen weiter. Anna fährt fort mit den Geschehnissen, bevor Jaime Berger nach Richmond kam. Berger steht weiterhin im Mittelpunkt, als säße sie unter uns. Ich traue ihr nicht. Und gleichzeitig liegt mein Leben vielleicht in ihren Händen. Ich versuche mich zu erinnern, wo ich am 14. Dezember war, indem ich von heute, dem 23. Dezember, zurückgehe bis zu jenem Dienstag. Ich war in Lyon, Frankreich, im Hauptquartier von Interpol, wo ich Jay Talley kennen lernte. Ich rekonstruiere dieses Treffen. Wir beide saßen allein an einem Tisch in der Cafeteria von Interpol. Marino mochte Talley von Anfang an nicht und war davon stolziert. Während des Mittagessens erzählte ich Jay von Diane Bray, von meinen Problemen mit ihr und dass sie alles tat, um Marino das Leben schwer zu machen. Sie hatte ihn sogar wieder in Uniform gesteckt und ließ ihn Nachtdienst schieben. Wie hatte Jay sie genannt? Giftmüll in engen Klamotten. Offenbar waren sich die beiden über den We g gelaufen, als sie bei der Polizei in D.C. war und er kurz im ATF-Hauptquartier Dienst tat. Er schien alles über sie zu wissen. Kann es Zufall gewesen sein, dass an demselben Tag, als ich mit Jay über sie sprach, Righter Anna anrief, sie nach meiner Beziehung zu Bray ausfragte und sich nach meinem Geisteszustand erkundigte?
»Ich wollte es dir eigentlich nicht erzählen«, fährt Anna mit harter Stimme fort. »Ich sollte es dir nicht erzählen, aber nachdem sie mich gegen dich ausspielen wollen -«
»Was soll das heißen, gegen sie ausspielen?«, mischt sich Marino ein.
»Ursprünglich hatte ich gehofft, dir Hilfestellung zu leisten, dir einen Weg zu zeigen, diese Behauptungen, was deine geistige Gesundheit betrifft, aus der Welt zu schaffen«, sagt Anna zu mir. »Ich glaubte nicht daran. Und wenn ich irgendwelche Zweifel hatte und vielleicht hatte ich kleine Zweifel, weil ich dich so lange nicht gesehen hatte, dann wollte ich trotzdem mit dir reden, weil ich mir Sorgen um dich machte. Du bist meine Freundin. Buford versicherte mir, dass er nicht vorhatte, was immer ich herausfinden sollte, irgendwie zu benutzen. Unsere Gespräche, seine und meine, galten als vertraulich. Er sagte nichts, kein Wort, dass er dich eventuell anklagen würde.«
»Righter?« Marino blickt finster drein. »Er hat Sie darum gebeten,
Weitere Kostenlose Bücher