Das letzte Revier
einem Mörder übertragen worden sein, der sie wiederum von einem Teppich hat, wo sie von jemand anders hingetragen wurden, der sie seinerseits von einem Autositz mitgebracht hat, wo sie wieder jemand anders zurückgelassen hatte.
»Wollte er ein bestimmtes Zimmer?«, frage ich Kiffin, die an ihrem Schlüsselbund herumhantiert.
»Er hat gesagt, er will etwas Ruhiges. Die Zimmer neben und über der 17 waren nicht belegt, deswegen habe ich es ih m gegeben. Was haben Sie mit Ihrem Arm gemacht?« »Auf Eis ausgerutscht.«
»Oh, wie furchtbar. Müssen Sie den Gips noch lange tragen?« »Nicht mehr sehr lange.«
»Hatten Sie das Gefühl, dass jemand bei ihm war?«, fragt Marino sie.
»Ich hab niemanden gesehen.« Mit Marino ist sie kurz angebunden, mir gegenüber ist sie freundlicher. Ich spüre, dass sie mich häufig ansieht, und habe das unangenehme Gefühl, dass sie mich aus der Zeitung oder dem Fernsehen kennt. »Was für eine Ärztin sind Sie?«, fragt sie mich. »Ich bin Gerichtsmedizinerin.«
»Oh.« Ihre Miene hellt sich auf. »Wie Quincy. Die Serie hat mir gefallen. Erinnern Sie sich an die Folge, wo er alles über eine Person aus einem einzigen Knochen ablesen konnte?« Sie dreht einen Schlüssel im Schloss, öffnet die Tür, und beißender Brandgeruch erfüllt die Luft. »Das war wirklich unglaublich. Rasse, Geschlecht, sogar wie er seinen Lebensunterhalt verdiente und wie groß er war und wann und wie er gestorben ist, alles von einem einzigen kleinen Knochen.« Die offene Tür enthüllt einen Tatort, so dunkel und schmutzig wie eine Kohlenmine. »Keine Ahnung, was mich das kosten wird«, sagt sie, als wir an ihr vorbeigehen und eintreten. »Die Versicherung wird dafür nicht aufkommen. Nie im Leben. Verdammte Versicherungen.«
»Sie werden draußen warten müssen«, sagt Marino zu Kiffin. Das einzige Licht kommt durch die offene Tür, und ich erkenne die Umrisse eines Doppelbetts. In der Mitte ist ein Krater, wo die Matratze bis auf die Sprungfedern verbrannt ist. Marino schaltet eine Taschenlampe ein, und ein langer Finger aus Licht bewegt sich durch den Raum zu einem Schrank gleich neben der Tür, wo ich stehe. Zwei verbogene Metallkleiderbügel hängen an einer hölze rnen Stange. Das Bad befindet sich links von de r Tür, und an der Wand gegenüber dem Bett steht eine Kommode. Auf der Kommode liegt ein aufgeschlagenes Buch. Marino geht näher und hält den Lichtkegel der Taschenlampe auf die Seiten. »Gideon Bibel«, sagt er. Der Lichtschein bewegt sich zur anderen Seite des Zimmers, wo zwei Stühle und ein Tisch vor einem Fenster und einer Hintertür stehen. Marino zieht die Vorhänge auf, und fahles Sonnenlicht sickert herein. Der einzige Brandschaden ist das Bett, das geschwelt und eine Menge dicken Rauch verursacht hat. Alles im Zimmer ist mit Ruß überzogen, und das ist ein unerwartetes forensisches Geschenk. »Das ganze Zimmer wurde ausgeräuchert«, sage ich verwundert. »Hm?« Marino schwenkt die Taschenlampe, während ich nach meinem Handy krame. Ich entdecke keine Hinweise, dass Stanfield nach verborgenen Fingerabdrücken gesucht hätte, und das kann ich ihm nicht verdenken. Die meisten Ermittler nehmen an, dass Ruß und Rauch Fingerabdrücke zerstören, aber das Gegenteil ist der Fall. Hitze und Ruß verarbeiten latente Fingerabdrücke, und es gibt eine alte Methode namens Räuchern, die auf nichtporösen Objekten wie glänzenden Metalloberflächen angewendet wird. Nichtporöse Gegenstände reagieren wie Teflon, wenn sie mit traditionellem Talkpuder bestäubt werden. Latente Fingerabdrücke werden übertragen, weil sich auf den Riffelungen der Oberflächen von Fingern und Handflächen ölige Partikel befinden, die an einer Türklinke, einem Glas, einer Fensterscheibe haften bleiben. Hitze weicht diese Partikel auf, und Rauch und Ruß bleiben daran hängen. Beim Abkühlen werden die Partikel fixiert und fest, und der Ruß kann mit einem Pinsel wie Pulver vorsichtig entfernt werden. Bevor andere Verfahren mit Sekundenkleber und alternierenden Lichtquellen entwickelt waren, wurden latente Fingerabdrücke häufig durch Verbrennen von harzigen Kieferspänen, Kampfer und Magnesium sichtbar gemacht. Es ist sehr gut möglich, dass sich unter der Patina aus Ruß in diesem Zimmer eine Galaxie latenter Fingerabdrücke befindet, die bereits für uns aufbereite t wurden.
Ich rufe den Leiter der Abdruckabteilung Neils Vander an und erkläre die Situation. Er wird in zwei Stunden hier im Motel sein.
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