Das letzte Revier
gelegt hat, wusste nicht, dass er versuchte, eine mit Brandhemmern behandelte Matratze in Brand zu setzen. Und natürlich blieb er nicht so lange, um zu bemerken, dass das Feuer von allein wieder erlosch. »Mrs.
Kiffin«, sage ich, »ist in jedem Zimmer eine Bibel?«
»Das Einzige, was die Leute nicht klauen.« Sie weicht meiner Frage aus, ihr Tonfall ist wieder argwöhnisch.
»Wissen Sie vielleicht, warum diese hier beim Prediger Salomo aufgeschlagen ist?«
»Ich geh nicht rum und schlag sie auf. Ich lass sie immer auf der Kommode liegen. Ich habe sie nicht aufgeschlagen.« Sie zögert, bevor sie fortfährt. »Er muss ermordet worden sein, sonst würden nicht alle so ein Theater veranstalten.«
»Wir müssen alle Möglichkeiten überprüfen«, sagt Marino, als er erneut auf die Leiter steigt, eine kleine Eisensäge in der Hand, die in einem Fall wie diesem sehr hilfreich ist, weil die Sägezähne gehärtet und nicht angewinkelt sind. Damit ist es möglich, Objekte in situ herauszuschneiden, zum Beispiel Stuckornamente, Fußleisten, Leitungen oder wie in unserem Fall Deckenträger. »Das Geschäft geht nicht gut«, sagt Mrs. Kiffin. »Und ich bin allein, weil mein Mann die ganze Zeit unterwegs ist.«
»Was macht Ihr Mann?«, frage ich. »Er ist Lastwagenfahrer bei Overland Transfer.« Marino beginnt, Trockenmauerplatten aus der Decke zu hebeln, um diejenigen herum, in die die Ösen geschraubt sind. »Dann ist er bestimmt nicht oft zu Hause«, sage ich. Ihre Unterlippe zittert unmerklich, und Tränen schießen ihr in die Augen. »Einen Mord kann ich nicht gebrauchen. O Gott, das wird mir noch mehr schaden.«
»Doc, kannst du mir die Taschenlampe halten?« Marino reagiert nicht auf ihr plötzliches Bedürfnis nach Mitgefühl. »Mord schadet vielen Menschen.« Ich richte den Lichtstrahl der Taschenlampe auf die Decke, mit der guten Hand halte ich die Leiter. »Das ist die traurige, ungerechte Wahrheit, Mrs. Kiffin.« Marino beginnt zu sägen, Staub rieselt herunter. »Hier ist noch nie jemand gestorben«, jammert sie. »Etwas Schlimmeres konnte mir gar nicht passieren.«
»He«, sagt Marino über den Lärm der Säge hinweg zu ihr, »die Publicity wird das Geschäft aufleben lassen.«
Sie sieht ihn finster an. »Diese Typen können mir verdammt noch mal gestohlen bleiben.«
Von den Fotos, die Stanfield mir zeigte, weiß ich, wo die Leiche an der Wand lehnte und wo in etwa die Kleidung gefunden wurde. Ich stelle mir das nackte Opfer auf dem Bett vor, seine Arme mit Seilen, die durch Ösen gezogen waren, nach oben gestreckt. Vielleicht kniete oder saß er, teilweise aufgerichtet. Die Kreuzigungshaltung und der Knebel behinderten seine Atmung. Er keucht, ringt nach Luft, sein Herz schlägt rasend in Panik, als er sieht, wie die Heißluftpistole eingesteckt wird, als er hört, wie ihr die Luft entströmt, nachdem sie eingeschaltet wurde. Das menschliche Bedürfnis zu foltern ist mir vollkommen fremd. Ich verstehe die Dynamik, die dahinter steckt, es geht um Kontrolle, den ultimativen Missbrauch von Macht. Aber ich verstehe nicht, dass jemand Befriedigung, Selbstwertgefühl und sexuelles Vergnügen daraus zieht, einem lebenden Wesen Schmerz zuzufügen.
Mir wird heiß und kalt, mein Puls rast. Ich schwitze unter meinem Mantel, obwohl es in diesem Zimmer so kalt ist, dass wir unseren Atem sehen. »Mrs. Kiffin«, sage ich, während Marino sägt, »fünf Tage - ein Sondertarif für Geschäftsleute. Zu dieser Jahreszeit?« Sie blickt verwirrt drein. Sie kennt meine Gedanken nicht. Sie sieht nicht, was ich sehe. Sie kann sich das Grauen nicht vorstellen, das ich rekonstruiere, während ich in diesem billigen Motelzimmer mit der gebrauchten Gefängnismatratze stehe. »Warum nahm er das Zimmer für fünf Tage in der Weihnachtswoche?«, frage ich. »Hat er irgendeine Andeutung gemacht, warum er hier war, was er tat, woher er kam? Abgesehen davon, dass er nicht so klang, als stammte er aus der Gegend.«
»Ich stelle keine Fragen.« Sie sieht Marino bei der Arbeit zu. »Vielleicht sollte ich das. Manche Leute reden eine Menge un d erzählen mir mehr, als ich wissen will. Andere sagen gar nichts.«
»Was für ein Gefühl hatten Sie bei ihm?«, hake ich nach. »Mr. Peanut mochte ihn nicht.«
»Wer ist Mr. Peanut?« Marino reicht mir eine Deckenplatte, die durch die Schraube mit einem zwölf Zentimeter dicken Stück des Deckenträgers verbunden ist.
»Unser Hund. Sie haben ihn wahrscheinlich gesehen, als Sie gekommen sind.
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