Das letzte Revier
Bestandteil eines Tatorts geworden ist. »Und wie ist er hergekommen? Vielleicht hatte er ein Auto.«
»Wurden irgendwelche Fahrzeuge in dem Haus gefunden, in dem er sich versteckte?«, frage ich. Während wir zu ihr zurückkehren, lässt Kiffin uns nicht aus den Augen, eine einsame Gestalt in roten Karos, ihr Atem kleine Wölkchen.
»Die Leute, denen das Haus gehört, hatten keine Wagen dort abgestellt während der Bauarbeiten«, sagt Marino leise, damit Kiffin uns nicht hört. »Vielleicht hat er eins gestohlen und irgendwo geparkt, wo es nicht auffiel. Ich habe einfach angenommen, dass der Kerl nicht fahren kann, wo er doch immer im Verlies seines Elternhauses in Paris gelebt hat.«
»Ja. Noch mehr unbewiesene Annahmen«, murmle ich und denke an Chandonnes Behauptung, dass er eins dieser grünen Motorräder fuhr, um die Pariser Gehsteige zu säubern. Ich bezweifle die Geschichte nach wie vor, aber vieles andere nicht mehr. Wir stehen wieder vor dem Picknicktisch, Marino stellt den Werkzeugkasten ab und öffnet ihn. Er nimmt lederne Arbeitshandschuhe heraus, zieht sie an und faltet mehrere große, dicke Müllsäcke auseinander, die ich für ihn aufhalte. Wir füllen drei Säcke, und er schneidet einen vierten entzwei, wickelt die schwarzen Plastikbahnen um den Kinderwagen und klebt sie zusammen. Währenddessen erklärt er Kiffin, dass möglicherweise jemand die Familie, die in dem Zelt wohnte, vertrieben hat. Er meint, dass vielleicht ein Fremder diesen Standplatz für sich beanspruchte, möglicherweise nur für eine Nacht. Hatte sie irgendwann einmal vor letztem Samstag den Eindruck, dass etwas Ungewöhnliches vorging, vielleicht hat sie ein unbekanntes Fahrzeug gesehen? Er spricht mit ihr, als ob er nie im Leben auf die Idee käme, dass sie die Unwahrheit sage n würde, Wir wissen natürlich, dass Chandonne nicht nach Samstag hier gewesen sein kann. Seitdem sitzt er im Gefängnis. Kiffin ist uns keine Hilfe. Sie behauptet, ihr sei nichts Ungewöhnliches aufgefallen, außer dass sie eines Morgens früh herausgekommen sei, um Feuerholz zu holen, und bemerkt habe, dass das Zelt verschwunden war, die Sachen der Familie zumindest teilweise jedoch noch da waren. Sie will es nicht beschwören, aber je mehr Marino nachfragt, umso sicherer ist sie, dass sie das Fehlen des Zelts am letzten Freitag gegen acht Uhr morgens bemerkt hat. Chandonne ermordete Bray am Donnerstagabend. Versteckte er sich danach in James City County? Ich stelle mir vor, wie er plötzlich vor dem Zelt auftaucht, in dem sich ein Paar und seine zwei Kinder befinden. Ein Blick hätte gereicht, und sie wären in ihr Auto gesprungen und davon gerauscht, ohne ihre Sachen zu packen.
Wir tragen die Müllsäcke zu Marinos Pickup und laden sie ein. Wieder wartet Kiffin, bis wir zurück sind, die Hände in den Jackentaschen, ihr Gesicht rosig von der Kälte. Das Motel steht direkt vor uns hinter Kiefern, ein kleines, schachtelartiges weißes Gebäude, zwei Stockwerke mit grün gestrichenen Türen. Hinter dem Motel ist ein Waldgebiet, dann ein breiter Bach, ein Seitenarm des James River.
»Wie viele Leute haben im Augenblick ein Zimmer gemietet?« fragt Marino die Frau, die diese schreckliche Touristenfalle managt »Im Augenblick? Vielleicht dreizehn, hängt davon ab, ob jemand abgereist ist. Viele Leute lassen den Schlüssel einfach im Zimmer und ich merke erst, dass sie nicht mehr da sind, wenn ich reingehe, um zu putzen. Ich habe meine Zigaretten im Haus gelassen«, sagt sie zu Marino, ohne ihn anzusehen. »Haben Sie eine für mich?« Marino stellt seinen Werkzeugkasten ab, holt eine Zigarette aus der Schachtel und zündet sie für sie an. Ihre Oberlippe kräuselt sich wie Krepppapier, als sie daran zieht, tief inhaliert und den Rauch seitlich aus dem Mund bläst. Meine Lust auf Tabak rührt sich.
Mein gebrochener Ellbogen beschwert sich über die Kälte. Ich denke unentwegt an die Familie in dem Zelt und ihren Schrecken - wenn es stimmt, dass Chandonne hier war und die Familie tatsächlich existiert. Wenn er direkt nach dem Mord an Bray herkam, was war dann mit seiner Kleidung? Sie muss voller Blut gewesen sein. Verließ er Brays Haus, kam blutüberströmt hierher, vertrieb Fremde aus ihrem Zelt, und niemand rief die Polizei oder erzählte irgendjemandem ein Wort davon?
»Wie viele Leute waren in der vorletzten Nacht hier, als es brannte?« Marino nimmt den Werkzeugkasten wieder auf, und wir gehen weiter.
»Ich weiß, wie viele ein Zimmer hatten«,
Weitere Kostenlose Bücher