Das letzte Revier
erwidert sie. »Das ist einfach lächerlich. Ich habe schon die Besten Ihrer Branche lügen gehört, wenn es darum geht, jemanden zu manipulieren. Sie greifen zu Lügendetektor oder Wahrheitsserum, wenn Sie die Leute zum Reden bringen wollen, und außerdem gibt es so etwas wie lügen durch Auslassen. Die ganze Wahrheit. Ich will sie wissen. Hatte Benton irgendetwas mit dem Fall Susan Pless zu tun?«
»Ja«, sagt Berger. »Ein eindeutiges Ja, Kay.«
»Reden Sie mit mir, Ms. Berger. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, Briefe zu lesen, die er bekam, bevor er ermordet wurde. Sie wurden in einem Postamt in Susan Pless' Nachbarschaft abgeschickt.«
Pause. »Ich habe Benton mehrmals getroffen, und mein Büro hat die Dienste seiner Gruppe in Anspruch genommen. Damals zumindest. Heute haben wir einen forensischen Psychiater hier in New York. Das heißt, ich habe im Lauf der Jahre mehrere Fälle mit Benton bearbeitet. Und als ich vom Mord an Susan erfuhr, bin ich zum Tatort und ließ Benton kommen. Wir gingen durch ihre Wohnung, so wie Sie und ich durch Brays Wohnun g gegangen sind.«
»Hat er Ihnen gegenüber jemals erwähnt, dass er merkwürdige Post und Anrufe bekommen hat? Und dass es möglicherweise eine Verbindung gibt zwischen dem Absender der Briefe und dem Mörder von Susan Pless?«
»Ich verstehe«, sagt sie.
»Sie verstehen? Was verstehen Sie?«
»Dass Sie Bescheid wissen«, erwidert sie. »Die Frage ist, woher wissen Sie es.«
Ich erzähle ihr von der DLR-Akte und dass Benton die Briefe auf latente Fingerabdrücke hat überprüfen lassen. Ich frage sie, wer das und mit welchen Ergebnissen getan haben könnte. Sie hat keine Ahnung, schlägt jedoch vor, die latenten Abdrücke durch das Automatische Fingerabrucksidentifizierungssystem, AFIS, laufen zu lassen. »Auf den Umschlägen sind Briefmarken«, sage ich. »Er hat sie nicht abgelöst, und das hätte er tun müssen, wenn er sie auf DNS hätte überprüfen wollen.«
Erst in den letzten Jahren wurde die DNS-Analyse dank der Polymerase-Kettenreaktion, PCR, so verfeinert, dass man auch Speichel analysieren kann, und vielleicht hat, wer immer die Briefmarken aufklebte, sie vorher abgeleckt. Und vielleicht wusste nicht einmal Carrie, dass Speichelreste an einer Briefmarke ihre Identität preisgeben könnten. Aber ich hätte es gewusst. Hätte Benton mir die Briefe gezeigt, hätte ich vorgeschlagen, die Briefmarken zu überprüfen. Vielleicht hätte uns das weitergeholfen. Vielleicht wäre er dann noch am Leben.
»Damals dachten nicht viele, auch nicht viele Polizisten, an so was.« Berger spricht noch immer über die Briefmarken. »Und heute scheinen sie es nur noch auf Kaffeetassen, Handtücher, Taschentücher, Zigarettenkippen abgesehen zu haben. Erstaunlich.« Mir geht ein unglaublicher Gedanke durch den Kopf. Was sie sagte, erinnert mich an einen Fall in England, wo ein Mann fälschlicherweise des Raubs angeklagt wurde, weil di e Polizei einen Treffer in der nationalen DNS-Datenbank in Birmingham landete. Der Anwalt des Mannes bestand auf einem erneuten Test der DNS, die am Tatort sichergestellt worden war, dieses Mal sollten zehn statt der üblichen sechs loci getestet werden. Loci oder Allele sind spezifische Stellen auf der genetischen Landkarte. Bestimmte Allele sind weiter verbreitet als andere. Je seltener sie sind und je mehr Allelen analysiert werden, umso größer ist die Chance einer Übereinstimmung -eine Übereinstimmung nicht im eigentlichen Sinn, sondern die extrem hohe statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein Verdächtiger ein Verbrechen begangen hat. In England konnte der Verdächtige auf Grund des zweiten Tests mit zehn Allelen als Täter ausgeschlossen werden. Die Chance einer fälschlichen Übereinstimmung betrug eins zu siebenunddreißig Millionen, trotzdem kam sie vor.
»Wurde die DNS im Fall Susan mit STR getestet?«, frage ich Berger.
Short Tandem Repeat Typing, STR, ist die neueste Technologie, um DNS-Profile zu erstellen. Mit Hilfe der PCR werden DNS-Abschnitte vervielfältigt, sodass wir Sequenzen von Allelen vergleichen können. Normalerweise werden heutzutage mindestens dreizehn loci analysiert, um fälschliche Übereinstimmungen so gut wie auszuschließen.
»Ich weiß, dass unsere Labors mit den neuesten Techniken arbeiten«, sagt Berger. »Sie benutzen seit Jahren PCR.«
»PCR ist heute Standard«, sage ich. »Die Frage ist, wie viele loci wurden 1997 getestet? Bei einer ersten Analyse werden oft weniger als
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