Das letzte Revier
fest, bevor diese andere Sache passierte.« Sie bezieht sich auf Chandonnes Versuch, mich umzubringen. »Gott sei Dank, dass Teun für mich da war.« Lucy meint nicht in der Bar, sondern dass McGovern im Allgemeinen und grundsätzlich für sie da ist, und ich spüre, dass Lucy im Innersten glücklich ist. Oft heißt es, dass andere Leute und Arbeit einen nicht glücklich machen können. Man muss sich selbst glücklich machen. Das ist nur die halbe Wahrheit. McGovern und das Letzte Revier scheinen Lucy glücklich zu machen.
»Und du engagierst dich schon seit einiger Zeit für das Letzte Revier?«, ermuntere ich sie, mit ihrer Geschichte fortzufahren. »Seit letztem Sommer? Wurde da die Idee für dieses Projekt geboren?«
»Es fing als Spaß an, damals in Philly als Teun und ich fast in den Wahnsinn getrieben wurden von gehirnamputierten Bürokraten, von Leuten, die uns Knüppel zwischen die Beine warfen, und weil wir zusehen mussten, wie unschuldige Opfer im System zerrieben wurden. Wir dachten uns diese Organisation aus, die ich das >Letzte Revier< nannte. Es hieß immer: Wohin kannst du gehen, wenn du nirgendwo mehr hinkannst?« Ihr Lächeln wirkt angespannt, und ich spüre, das s sich gleich etwas Unangenehmes unter ihre guten Nachrichten mischen wird. Lucy wird etwas sagen, was ich nicht hören will. »Dir ist doch klar, dass ich nach New York ziehen muss«, sagt sie. »Bald.«
Righter wird Chandonne nach New York abschieben, und Lucy zieht nach New York. Ich stelle die Heizung höher und ziehe meinen Mantel fester um mich.
»Ich glaube, Teun hat auf der Upper East Side eine Wohnung für mich gefunden. Fünf Minuten vom Central Park entfernt. In der Siebenundsechzigsten Straße, Ecke Lexington«, sagt sie. »Das ging aber schnell«, sage ich. »Ganz in der Nähe wurde Susan Pless ermordet«, füge ich hinzu, als wäre das ein unheilvolles Vorzeichen. »Warum gerade dort? Ist Teuns Büro in der Nähe?«
»Ein paar Blocks entfernt. Sie sitzt nicht weit vom Neunzehnten Revier und kennt offenbar ein paar Leute vom New York Police Department, die in der Gegend arbeiten.«
»Und Teun hat nie von Susan Pless gehört, von ihrer Ermordung? Wie merkwürdig, dass sie jetzt nur ein paar Straßen weiter arbeitet.« Negative Gefühle haben von mir Besitz ergriffen. Ich kann nichts dagegen tun.
»Sie weiß von dem Mord, weil wir über dich geredet haben«, erwidert Lucy. »Davor hatte sie noch nie von dem Fall gehört. Ich übrigens auch nicht. Unsere Gegend beunruhigt vor allem der East-Side-Vergewaltiger, und wir beschäftigen uns mit dem Fall. Seit fünf Jahren werden dort Frauen vergewaltigt, es ist immer derselbe Kerl, er mag Blondinen zwischen dreißig und vierzig. Normalerweise haben sie etwas getrunken, verlassen eine Bar, und er packt sie, wenn sie ihre Wohnung betreten wollen. New Yorks erster John-Doe-DNS-Fall. Wir haben seine DNS, wissen aber nicht, wer es ist.«
Alle Wege scheinen zu Jaime Berger zu führen. Der East-Side-Vergewaltiger muss einer der wic htigsten Fälle de r Staatsanwaltschaft sein. »Ich werde mir die Haare blond färben und spätabends von Bars nach Hause gehen«, sagt Lucy sarkastisch, und ich traue es ihr zu.
Ich möchte Lucy gern sagen, dass ich es aufregend und spannend finde, wofür sie sich entschieden hat, aber die Worte kommen mir nicht über die Lippen. Sie hat an vielen Orten gelebt, die weit von Richmond entfernt waren, aber diesmal habe ich den Eindruck, dass sie endgültig von zu Hause weggeht, dass sie erwachsen ist. Plötzlich werde ich zu meiner Mutter, die kritisiert, die auf die Schwachstellen hinweist, die Defizite, die den Teppich anhebt und die Stelle findet, die ich versäumt habe zu putzen, die mein Einser-Zeugnis betrachtet und meint, was für eine Schande es sei, dass ich keine Freundinnen habe, die probiert, was ich gekocht habe, und etwas daran auszusetzen hat.
»Was wirst du mit deinem Helikopter machen? Wo wirst du ihn abstellen?«, höre ich mich zu meiner Nichte sagen. »Das könnte ein Problem werden.«
»Wahrscheinlich in Teterboro.«
»Dann musst du bis nach New Jersey, wenn du fliegen willst?« »So weit ist das auch nicht.«
»Und die Lebenshaltungskosten dort oben sind hoch. Und du und Teun...« Ich kann nicht aufhören zu meckern. »Was ist mit mir und Teun?« Der Schwung ist aus Lucys Stimme verschwunden. »Warum hackst du so darauf herum?« Zorn ist zu hören. »Ich arbeite nicht mehr für sie. Sie ist nicht mehr beim ATF und auch nicht mehr
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