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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Geschichte.« Er versucht mich zu ignorieren, beobachtet Turk, ist merkwürdig zerstreut und nervös. Ich binde meinen Kittel auf, nehme mein Gesichtsschild, die Maske und die OP-Mütze ab. »Lasst die so schnell wie möglich durch den Computer laufen«, sage ich zu ihm ganz geschäftsmäßig und nicht besonders freundlich. Er hat Geheimnisse vor mir, und sein pubertäres Pfauengehabe geht mir auf die Nerven. »Wir haben hier einen schwierigen Fall, Marino.« Er zieht seine Aufmerksamkeit von Turk ab und wendet sie mir zu. Er wird ernst und hört auf mit den Kindereien. »Wie wär's, wenn du mir erzählst, was los ist, während ich eine rauche«, sagt er zu mir und sieht mir dabei zum ersten Mal seit Tagen in die Augen. In meinem Gebäude wird nicht geraucht, was einige Leute, die in der Hackordnung weit oben angesiedelt sind, nicht davon abhält, in ihren Büros zu rauchen, wenn sie von Leuten umgeben sind, die sie nicht verpfeifen werden. Im Autopsiesaal kann fragen, wer will. Rauchen ist nicht gestattet, Punktum. Nicht weil unsere Kliente n sich Sorgen machen müssten, passiv mitzurauchen, sondern weil ich mir Sorgen um die Lebenden mache, die nichts tun sollten, was Hand-zu-Mund-Kontakt erfordert. Essen, Trinken oder Rauchen sind nicht erlaubt, und ich rate auch davon ab, Kaugummi zu kauen oder Bonbons oder Tabletten zu lutschen. Unsere Raucherecke besteht aus zwei Stühlen und einem Standaschenbecher nahe den Getränkeautomaten in der Einfahrt für die Transportdienste. In dieser Jahreszeit ist das kein warmer, gemütlicher Ort, aber man ist ungestört. Der Fall im James City County fällt nicht in Marinos Zuständigkeit, aber ich muss ihm von der Kleidung erzählen. »Es ist nur ein Gefühl«, fasse ich zusammen. Er streift Asche ab. Breitbeinig sitzt er auf dem Plastikstuhl. Unser Atem ist zu sehen.
    »Ja, mir gefällt das auch nicht«, sagt er. »Tatsache ist, es könnte auch bloß Zufall sein, Doc. Tatsache ist andererseits auch, dass die Familie Chandonne ein verdammt gefährlicher Haufen Scheiße ist. Wir wissen nicht, wie sie reagieren werden, jetzt, wo ihr hässliches Entlein in den USA wegen Mord im Gefängnis sitzt - wo er es geschafft hat, so viel Aufmerksamkeit auf seinen Daddy und seine Kumpane zu lenken. Das sind Leute, die zu allem fähig sind, wenn du mich fragst. Glaub mir, ich fange jetzt erst an zu begreifen, mit wem wir's hier zu tun haben«, fügt er kryptisch hinzu. »Ich mag die Mafia nicht, Doc. Nein, Sir. Als ich anfing, hat sie alles kontrolliert.« Sein Blick wird hart, während er spricht. »Verdammt, wahrscheinlich tut sie das immer noch. Der Unterschied ist nur, dass es heute keine Regeln mehr gibt, keinen Respekt. Keine Ahnung, was der Kerl in der Nähe von Jamestown wollte, aber er war bestimmt nicht wegen der Sehenswürdigkeiten da, das steht fest. Und Chandonne liegt nur sechzig Meilen davon entfernt im Krankenhaus. Irgendwas geht hier vor.«
    »Marino, wir müssen sofort Interpol einschalten«, sage ich. Nur die Polizei kann Interpol einschalten, und dafür muss Marino die Verbindungsperson bei der Bundespolize i kontaktieren, die die Informationen an Interpols amerikanisches Büro in Washington weitergibt. Wir werden Interpol bitten, in unserem Fall eine internationale Meldung herauszugeben und ihre Archive in ihrem Hauptsitz in Lyon zu durchforsten. Interpol-Meldungen haben unterschiedliche Farben: Rot steht für sofortige Festnahme und mögliche Auslieferung; Blau für jemanden, der gesucht wird, dessen Identität jedoch nicht hundertprozentig feststeht; Grün für eine Warnung vor Personen, die wahrscheinlich kriminelle Handlungen begehen werden, zum Beispiel Gewohnheitstäter wie Kinderschänder und Leute im Pornografiegeschäft; Gelb für vermisste Personen und Schwarz für nicht identifizierte Tote, die meist flüchtige Gesetzesbrecher sind und für die zudem eine rote Meldung vorliegt. Dieser Fall wird meine zweite schwarze Meldung in diesem Jahr sein; die erste erfolgte vor ein paar Wochen, als die stark verweste Leiche von Thomas Chandonne in einem Container im Hafen von Richmond gefunden wurde. »Okay, wir schicken Interpol ein Verbrecherfoto, die Fingerabdrücke und deine Autopsieergebnisse«, sagt Marino. »Das mache ich, sobald ich weg bin. Hoffentlich fühlt sich Stanfield nicht auf die Füße getreten.« Es hört sich an wie eine Warnung. Marino ist es gleichgültig, ob sich Stanfield auf die Füße getreten fühlt oder nicht, aber er will keinen Ärger. »Er

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