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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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erwidert er. »Sieht so aus, was immer ihm passiert ist, als ob ihm jemand Hilfestellung gegeben hätte. Glauben Sie, dass ihn jemand mit Drogen voll gepumpt und dann versucht hat, ihn zu verbrennen, um die Beweise zu vernichten?«
    »Ich glaube, wir sollten Mord ernsthaft in Betracht ziehen«, fasse ich das Offensichtliche zusammen. »Wir müssen seine Fingerabdrücke nehmen und sehen, ob er in AFIS gespeichert ist.« Das Automatische Fingerabdruck-Identifikationssystem, AFIS, ermöglicht es uns, Fingerabdrücke in einen Computer zu scannen und sie mit den in einem Archiv gespeicherten zu vergleichen. Wenn dieser Tote irgendwo in diesem Land ein Vorstrafenregister hat oder seine Fingerabdrücke aus irgendeinem anderen Grund gespeichert sind, werden wir wahrscheinlich einen Treffer landen. Ich ziehe erneut frische Handschuhe an und tue mein Bestes, sie über den Gips an meiner linken Hand zu ziehen. Einer Leiche Fingerabdrücke abzunehmen erfordert ein schlichtes Instrument, das Löffel genannt wird. Es ist lediglich ein gebogenes Stück Metall, das so ähnlich aussieht wie eine der Länge nach entzweigeschnittene leere Tube. Durch Schlitze in dem Löffel wird ein Streifen weißes Papier gezogen. Das Papier passt sich der Biegung des Metalls an und nimmt die Konturen von Fingern auf, die steif sind oder nicht mehr dem Willen ihres Besitzers gehorchen. Nach jedem Fingerabdruck wird das Papier ein Stück weitergezogen bis zum nächsten sauberen Abschnitt. Di e Prozedur ist nicht schwierig. Sie erfordert keine große Intelligenz. Aber als ich Stanfield sage, wo sich die Löffel befinden, runzelt er die Stirn, als hätte ich gerade in einer Fremdsprache gesprochen. Ich frage ihn, ob er je zuvor einer Leiche Fingerabdrücke abgenommen hat. Hat er nicht. »Einen Moment«, sage ich, gehe zum Telefon und wähle die Nummer des Fingerabdrucklabors. Niemand antwortet. Ich versuche es über die Zentrale. Wegen des Wetters sind alle gegangen, wird mir gesagt. Ich hole einen Löffel und ein Stempelkissen aus einer Schublade. Turk säubert dem Toten die Finger, und ich nehme ihm die Abdrücke ab, indem ich die Finger einen nach dem anderen erst auf das Stempelkissen und dann auf den Papierstreifen drücke. »Das Einzige, was ich tun kann, wenn Sie nichts dagegen haben«, sage ich zu Stanfield, »ist, dafür zu sorgen, dass die Stadt Richmond die Abdrücke in AFIS einspeist, damit wir hier weiterkommen.« Ich drücke einen Daumen auf den Löffel, und Stanfield sieht mit angewiderter Miene zu. Er gehört zu der Sorte Mensch, die das Leichenschauhaus hasst und nicht schnell genug wieder rauskommen kann. »Im Augenblick scheint niemand im Labor zu sein, der uns helfen könnte, und je eher wir wissen, wer der Tote ist, umso besser«, erkläre ich. »Und ich möchte, dass Interpol die Abdrücke und alle anderen Informationen bekommt für den Fall, dass der Mann internationale Verbindungen hatte.«
    »Okay«, sagt Stanfield und nickt, während er auf seine Uhr blickt. »Hatten Sie schon mal mit Interpol zu tun?«, frage ich ihn. »Kann ich nicht von mir behaupten, Ma'am. Das sind doch so was wie Spione, oder?«
    Ich page Marino an, weil er vielleicht helfen kann. Fünfundvierzig Minuten später taucht er auf. Stanfield ist längst verschwunden, und Turk verstaut John Does sezierte Organe in einem dicken Plastiksack, den sie in die Bauchhöhle stellt, bevor sie den Y-Schnitt zunäht.
    »Hallo, Turk«, grüßt Marino sie, als er durch die Stahltüre n tritt. »Frieren Sie mal wieder Reste ein?«
    Sie blickt zu ihm auf, eine Augenbraue hochgezogen, ein schiefes Lächeln im Gesicht. Marino mag Turk. Er mag sie so sehr, dass er bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit Unhöflichkeiten an sie loswird. Turk sieht nicht so aus, wie ihr Spitzname vermuten lassen könnte. Sie ist klein und schmal, hübsch, mit cremig weißem Teint, ihr langes blondes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Sie fädelt dicken, gewachsten weißen Zwirn in eine Nadel, und Marino hackt weiter auf ihr rum. »Eins sag ich Ihnen«, fährt er fort, »sollte ich je aufgeschnitten werden, komme ich nicht zu Ihnen, um mich wieder zunähen zu lassen, Turk.« Sie lächelt, sticht mit der großen Nadel in Fleisch und zieht den Faden durch. Marino wirkt verkatert, seine Augen sind blutunterlaufen und verquollen. Trotz seiner Schäkereien ist er schlecht gelaunt. »Hast du gestern Abend vergessen, ins Bett zu gehen?«, frage ich ihn. »Mehr oder weniger. Das ist eine lange

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