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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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sie für fünfunddreißig durchgehen. Ich vermute, dass sie ein paar Jahre älter ist als ich, an die fünfzig. Ihr eckiges Gesicht, die kurzen dunklen Haare und die perfekten Zähne verschmelzen zu einem vertrauten Bild, und ich erkenne die Expertin wieder, die in Court TV auftrat. Sie beginnt, den Fotos zu ähneln, auf die ich im Internet gestoßen bin, als ich die Suchmaschinen des Cyberspace auf sie ansetzte, um mich auf diese Invasion vorzubereiten, die vo n einer fremden Galaxie zu kommen scheint. Marino bietet sich nicht an, ihr irgendetwas abzunehmen. Er ignoriert sie genauso, wie er mich ignoriert, wenn er gekränkt, missmutig oder eifersüchtig ist. Ich schließe die Tür zum Gebäude auf, als die zwei Männer die Bahre auf uns zurollen. Ich erkenne sie wieder, erinnere mich jedoch nicht an ihre Namen. Einer starrt Berger unverwandt mit großen Augen an. »Sie sind die Dame aus dem Fernsehen«, sagt er. »Himmel noch mal. Die Richterin.«
    »Tut mir Leid. Ich bin keine Richterin.« Berger sieht ihm in die Augen und lächelt.
    »Sie sind nicht die Richterin? Echt nicht?« Die Bahre klappert über die Schwelle. »Der soll vermutlich in den Kühlraum«, sagt einer der Männer zu mir.
    »Ja«, antworte ich. »Sie wissen, wo Sie ihn abliefern müssen.
    Arnold ist hier irgendwo.«
    »Ja, Ma'am. Ich weiß, was zu tun ist.« Keine Bemerkung darüber, dass ich letztes Wochenende in ihrem Van hätte enden können, wäre mein Schicksal anders verlaufen. Ich habe schon oft beobachtet, dass Leute, die in Beerdigungsinstituten und Transportunternehmen arbeiten, durch kaum etwas zu schockieren oder zu erschüttern sind. Und mir entgeht nicht, dass die beiden von Bergers Berühmtheit beeindruckter sind als von der Tatsache, dass ihre Chefpathologin sich glücklich schätzen kann, noch am Leben zu sein, und dieser Tage in den Augen der Öffentlichkeit keine besonders gute Figur macht. »Klar für Weihnachten?«, fragt mich einer. »Das ist mir noch nie gelungen«, erwidere ich. »Ihnen beiden schöne Feiertage.«
    »Schönere als der da.« Er deutet auf die Leiche, die sie in Richtung des Leichenschauhauses davonrollen, um unseren neuesten Patienten anzumelden. Ich drücke auf Knöpfe, die mehrere Stahltüren öffnen und den Weg über desinfizierte Böden freigeben. Wir kommen an Kühlräumen und dem Autopsiesaal vorbei, starke Deodorants hängen in der Luft. Marino spricht über den Fall in Mosby Court. Berger hat ihn nicht danach gefragt, aber er scheint zu glauben, dass sie darüber Bescheid wissen will. Oder er gibt einfach nur an.
    »Zuerst sah es so aus, als wäre er aus einem vorbeifahrenden Auto geworfen worden, weil er auf der Straße lag und aus dem Kopf blutete. Aber jetzt frage ich mich, ob er nicht überfahren wurde«, sagt er zu uns. Ich öffne die Türen, die in den stillen Verwaltungstrakt führen, während er Berger jede Einzelheit eines Falls schildert, den er noch nicht einmal mit mir besprochen hat. Ich führe sie in mein privates Besprechungszimmer, und wir ziehen unsere Mäntel aus. Berger trägt eine dunkle Wollhose und einen weiten schwarzen Pullover, der ihren üppigen Busen nicht betont, aber auch nicht verbergen kann. Sie hat den schlanken, festen Körperbau einer Athletin, und ihre abgetragenen Vibramstiefel deuten darauf hin , dass sie sich für nichts zu schade sein wird, wenn die Arbeit es erfordert. Sie zieht einen Stuhl hervor und beginnt, ihre Aktentasche, Akten und Bücher auf dem runden Tisch zu arrangieren. »Er hat Verbrennungen hier und hier.« Marino deutet auf die linke Backe des Opfers und seinen Hals und zieht Polaroidfotos aus der Innentasche seiner Anzugjacke. Er macht einen geschickten Schachzug und gibt sie mir zuerst.
    »Warum sollte jemand, der überfahren wurde, Verbrennungen haben?« Meine Frage ist eine Abwehr. In mir keimt Unruhe. »Wenn er aus dem fahrenden Wagen gestoßen wurde, oder wenn er sich am Auspuffrohr verbrannt hat«, meint Marino. Er ist sich nicht sicher, es ist ihm auch halbwegs gleichgültig, weil er mit den Gedanken woanders ist.
    »Unwahrscheinlich«, sage ich in unheilvollem Tonfall. »Scheiße«, sagt Marino, und als er mir in die Augen sieht, dämmert es ihm. »Ich hab ihn nicht gesehen, er war bereits im Leichensack, als ich ankam. Verdammt noch mal, ich habe mich einfach mit dem zufrieden gegeben, was die Polizisten mir am Tatort erzählt haben. Scheiße«, sagt er noch einmal. Er blickt zu Berger, sein Gesicht wird rot vor Verlegenheit und

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