Das letzte Revier
»Er zahlte bar, und der Kellner erinnerte sich, was er ihr und dem Mann brachte. Er aß Polenta mit Pilzen und bestellte eine Flasche Barolo, genau wie Chandonne auf dem Video sagt. Susan hatte gegrilltes Gemüse in Olivenöl zur Vorspeise, dann Lamm, was im Übrigen mit ihrem Mageninhalt übereinstimmt.«
»Himmel«, sagt Marino. Das hatte er nicht gewusst. »Wie zum Teufel kann das sein? Es brauchte verdammt gute Specialeffects, um dieses hässliche Monster in einen Typ für Frauen zu verwandeln.«
»Außer er war es nicht«, sage ich. »Könnte es sein Bruder gewesen sein, Thomas? Und Jean-Baptiste verfolgte ihn?« Ich habe mich selbst überrascht. Ich habe das Ungeheuer beim Namen genannt. »Auf den ersten Blick ein logischer Gedanke«, sagt Berger. »Aber es gibt Dinge, die gegen dieses Szenari o sprechen. Der Türsteher von Susans Apartmenthaus erinnert sich, dass sie mit einem Mann nach Hause kam, auf den die Beschreibung des Mannes im Lumi passt. Das war gegen neun Uhr abends. Der Türsteher hatte Dienst bis um sieben am nächsten Morgen. Er sah, wie der Mann gegen halb vier Uhr früh das Haus wieder verließ, die Zeit, zu der Susan normalerweise zur Arbeit ging. Sie sollte um vier, ha lb fünf im Sender sein, weil sie um fünf anfangen zu senden. Ihre Leiche wurde gegen sieben Uhr morgens gefunden, und laut Gerichtsmediziner war Susan zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Stunden tot. Der Hauptverdächtige war immer der Fremde, den sie im Restaurant kennen lernte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand anders gewesen sein soll. Er bringt sie um. Nimmt sich Zeit, um die Leiche zu verstümmeln. Geht um halb vier, und nie wieder findet sich eine Spur von ihm. Und wenn er nicht schuldig ist, warum hat er sich dann nicht bei der Polizei gemeldet, als er von dem Mord hörte? Über den Fall wurde weiß Gott ausführlich berichtet.«
Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich, als ich mich erinnere, dass ich seinerzeit von dem Mord hörte. Plötzlich fallen mir wieder Details ein, die zu jener Zeit Bestandteil riesiger sensationsheischender Geschichten waren. Mir wird ganz komisch, als ich darüber nachdenke, dass ich vor zwei Jahren, als ich von Susan Pless hörte, keine Ahnung hatte, dass ich eines Tage mit ihrem Fall zu tun haben würde, und schon gar nicht auf diese Weise. »Außer er war nicht aus der Gegend oder kam sogar aus einem anderen Land«, sagt Marino.
Berger zuckt die Achseln, hebt ratlos die Hände. Ich versuche, die Beweisstücke, die sie genannt hat, zu einem Ganzen zusammenzulügen, und kann keine auch nur entfernt sinnvollen Antworten auf die offenen Fragen finden. »Wenn sie zwischen sieben und neun Uhr abends gegessen hat, sollte gegen dreiundzwanzig Uhr das Essen überwiegend verdaut gewesen sein«, sage ich. »Angenommen, der vom Gerichtsmedizine r geschätzte Todeszeitpunkt ist korrekt und sie starb mehrere Stunden bevor ihre Leiche gefunden wurde sagen wir um ein oder zwei Uhr früh -, dann sollten sich keine Essensreste mehr in ihrem Magen befunden haben.«
»Die Erklärung lautete Stress. Sie hatte Angst, was ihre Verdauung verlangsamt haben kann«, sagt Berger.
»Das wäre eine plausible Erklärung bei einem Fremden, der sich im Schrank versteckt und einen unerwartet anfällt. Aber sie fühlte sich in Gegenwart dieses Mannes offenbar so wohl, dass sie ihn mit in ihre Wohnung nahm«, sage ich. »Und er fühlte sich sicher genug, dass es ihm gleichgültig war, ob der Türsteher ihn kommen und viel später wieder gehen sah. Was ist mit Vaginalabstrichen?«
»Es wurde Samenflüssigkeit gefunden.«
»Dieser Mann« - ich deute auf Chandonne - »hat nichts mit vaginaler Penetration im Sinn, und es gibt keine Beweise, dass er ejakuliert«, erinnere ich Berger. »Nicht in den Pariser Fällen und bestimmt nicht in unseren Fällen hier. Die Opfer sind von der Taille abwärts immer bekleidet und unverletzt. Er scheint sich von der Taille abwärts nicht im Entferntesten für sie zu interessieren, abgesehen von ihren Füßen. Ich dachte, auch Susan Pless wäre von der Taille abwärts bekleidet gewesen.«
»Das war sie, sie trug eine Pyjamahose. Aber die Samenflüssigkeit deutete auf einvernehmlichen Sex, zumindest anfänglich. Hinterher natürlich nicht mehr, nicht, wenn Sie gesehen hätten, was er mit ihr gemacht hat«, sagt Berger. »Die DNS der Samenflüssigkeit ist mit der DNS von Chandonne identisch. Und wir fanden diese seltsamen langen Haare, die genauso aussehen wie seine.« Sie
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