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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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jemand erzählt.«
    »Und Sie glauben, dass Sie seit mindestens zwei Jahren nicht dort waren?«, versucht sie es noch einmal. »Mindestens.«
    »Wie lange, glauben Sie, dass sie schon verfolgt werden?«
    »Viele Jahre. Vielleicht fünf Jahre. Schwer zu sagen. Sie sind schlau.«
    »Und wie könnten Sie diesen Leuten dabei helfen, Zitat, an Ihre Familie ranzukommen?«, fragt Berger.
    »Wenn sie mich zum Beispiel reinlegen und es ihnen gelingt, mich fälschlicherweise als abartigen Mörder darzustellen, dann könnte die Polizei vielleicht in das Haus meiner Familie. Sie würden nichts finden. Meine Familie ist unschuldig. Es geht nur um Politik. Mein Vater ist politisch sehr mächtig. Abgesehen davon habe ich keine Ahnung. Ich kann nur sagen, was mir zugestoßen ist. All das ist eine Verschwörung, um mich in dieses Land zu locken und zu verhaften und dann hinzurichten. Weil ihr Amerikaner alle tötet, auch Unschuldige. Das ist allgemein bekannt.« Diese Behauptung scheint ihn zu ermüden, als wäre er es überdrüssig, darauf hinzuweisen.
    »Sir, wo haben Sie Englisch sprechen gelernt?«, fragt ihn Berger als Nächstes.
    »Ich habe es mir selbst beigebracht. Als ich jünger war, hat mir mein Vater Bücher gegeben, wenn ich in unser Haus kam. Ich habe viele Bücher gelesen.«
    »Auf Englisch?«
    »Ja. Ich wollte Englisch lernen. Mein Vater spricht viele Sprachen, weil er ein internationaler Reeder ist und viele Beziehungen ins Ausland unterhält.«
    »Auch mit diesem Land? Den Vereinigten Staaten?« »Ja.«
    Talley erscheint im Bild, als er ein neues Pepsi auf den Tisch stellt. Chandonne nimmt gierig den Strohhalm zwischen die Lippen und macht laute saugende Geräusche.
    »Was für Bücher haben Sie gelesen?«, fahrt Berger fort. »Viele Geschichtsbücher und andere Bücher, um mich z u bilden, denn ich musste mir alles selbst beibringen, verstehen Sie? Ich bin nie zur Schule gegangen.«
    »Wo sind diese Bücher jetzt?«
    »Ach, ich weiß nicht. Verschwunden. Weil ich manchmal keine Wohnung habe und viel unterwegs bin. Ich bin immer unterwegs auf der Flucht vor diesen Leuten, die hinter mir her sind.«
    »Können Sie außer Französisch und Englisch noch andere Sprachen?«, fragt Berger. »Italienisch. Ein bisschen Deutsch.« Er rülpst leise.
    »Und diese Sprachen haben Sie sich auch selbst beigebracht?«
    »In Paris gibt es Zeitungen in vielen Sprachen, und so habe ich auch gelernt. Manchmal habe ich auf Zeitungen geschlafen. Wenn ich obdachlos war.«
    »Er bricht mir das Herz.« Marino kann nicht länger an sich halten. Auf dem Video sagt Berger zu Chandonne: »Kehren wir zu Susan Pless zurück, zum 5. Dezember vor zwei Jahren, als sie in New York starb. Erzählen Sie mir von dem Abend, an dem Sie sie im Lumi kennen lernten. Was geschah als Nächstes?«
    Chandonne seufzt, als würde er mit jeder Sekunde müder. Er fasst häufig an seinen Verband, und mir fällt auf, dass seine Hände zittern. »Ich muss etwas essen«, sagt er. »Ich fühle mich schwach, sehr schwach.«
    Berger hält das Video an. »Wir haben für ungefähr eine Stunde unterbrochen«, sagt sie zu mir. »Das reichte, damit er etwas essen und sich ausruhen konnte.«
    »Ja, der Kerl kennt das System verdammt gut«, sagt Marino zu mir, als wäre ich noch nicht von selbst darauf gekommen. »Und die Geschichte von dem Paar, das ihn aufgezogen hat, ist Schwachsinn. Er schützt nur seine Mafia-Familie.« Berger sag t zu mir: »Kennen Sie das Lumi?« »Ich glaube nicht«, sage ich.
    »Es ist interessant. Als wir vor zwei Jahren anfingen, den Mord an Susan Pless zu untersuchen, wussten wir, dass sie an dem Abend, an dem sie ermordet wurde, im Lumi gegessen hatte, weil der Kellner, der sie bediente, die Polizei anrief, als er von dem Mord hörte. Der Gerichtsmediziner fand noch Essensüberreste in ihrem Magen, was darauf hinweist, dass sie ein paar Stunden, bevor sie ermordet wurde, gegessen hatte.«
    »War sie allein in dem Restaurant?«, frage ich. »Sie kam allein herein und setzte sich zu einem Mann, der ebenfalls allein war, allerdings war er kein Freak - nicht im Entferntesten. Er wurde als groß, breitschultrig, gut gekleidet, gut aussehend beschrieben. Eindeutig jemand, für den Geld keine Rolle spielte, oder zumindest vermittelte er diesen Eindruck.«
    »Wissen Sie, was er bestellte?«, frage ich.
    Berger fährt sich mit den Händen durchs Haar. Es ist das erste Mal, dass ich sie unsicher erlebe. Ja, mir fällt unwillkürlich das Wort entgeistert ein.

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