Das letzte Revier
Sie bekamen etwas zu essen und zu trinken, Sir, ist das korrekt?«, fragt Berger Chandonne.
»Ja.«
»Und zwar was?«
»Einen Hamburger und ein Pepsi.«
»Und Fritten?«
»Mais oui. Fritten.«
Er scheint das komisch zu finden.
»Sie haben also bekommen, was Sie wollten?«, fragt sie ihn. »Ja.«
»Und das Krankenhauspersonal hat Ihren Verband entfernt und Ihnen diese spezielle Brille gegeben. Sie fühlen sich wohl?«
»Ich habe leichte Schmerzen.«
»Haben Sie Schmerzmittel bekommen?«
»Ja.«
»Tylenol. Stimmt das?«
»Ich denke ja. Zwei Tabletten.«
»Sonst nichts. Nichts, was ihr Denkvermögen beeinträchtige n würde.«
»Nein, nichts.« Die schwarzen Gläser fixieren sie. »Und niemand zwingt Sie, mit mir zu sprechen, oder hat Ihnen Versprechungen gemacht, ist das korrekt?« Ihre Schultern bewegen sich, als sie, wie ich vermute, in einem Notizbuch umblättert. »Ja.«
»Sir, habe ich Sie in irgendeiner Weise bedroht oder Ihnen Versprechungen gemacht, um Sie dazu zu bringen, mit mir zu sprechen?«
Auf diese Art geht es immer weiter, während Berger ihre Liste abhakt. Sie will sicherstellen, dass Chandonnes eventueller Rechtsvertreter keine Chance haben wird zu behaupten, Chandonne wurde eingeschüchtert, schikaniert, unter Druck gesetzt oder irgendwie unfair behandelt. Er sitzt aufrecht auf seinem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt, lange Haare hängen büschelweise auf die Tischplatte wie die schmutzig silbrigen Fäden von Maiskolben. Die Zusammensetzung seiner Anatomie stimmt hinten und vorne nicht. Er erinnert mich an alte tuntige Filme, wo alberne Jungen am Strand sich gegenseitig im Sand eingraben, sich Augen auf die Stirn malen und Bärte wie Kopfhaar aussehen lassen oder Sonnenbrillen auf dem Hinterkopf tragen oder auf dem Boden knien, die Knie in Schuhen, um zwergenhaft auszusehen - Menschen, die sich in Freaks verwandeln, weil sie glauben, dass es komisch ist. Chandonne hat nichts Komisches. Ich kann ihn noch nicht einmal bedauernswert finden. Mein Zorn schwimmt wie ein Hai tief unter der Oberfläche meines stoischen Verhaltens. »Kehren wir zurück zu dem Abend, an dem Sie, wie Sie sagten, Susan Pless kennen lernten«, sagt Berger zu ihm auf dem Band. »Im Lumi. Das ist an der Ecke Siebzigste Straße und Lexington Avenue?«
»Ja, ja.«
»Sie sagten, dass Sie zusammen aßen und Sie sie dan n fragten, ob sie mit Ihnen noch irgendwo Champagner trinken wollte. Sir, ist Ihnen klar, dass die Beschreibung des Mannes, den Susan kennen lernte und mit dem sie an diesem Abend aß, überhaupt nicht auf Sie passt?« »Woher sollte ich das wissen?«
»Aber Sie wissen, dass Sie unter einer schlimmen Krankheit leiden, die Sie völlig anders aussehen lässt als andere Menschen, und es ist nur schwer vorstellbar, dass Sie mit jemandem verwechselt werden, der nicht unter dieser Krankheit leidet. Hypertrichose. Heißt so die Krankheit, die Sie haben?«
Ich sehe, wie sein Blick hinter den dunklen Gläsern kaum wahrnehmbar flackert. Berger hat einen Nerv getroffen. Die Muskeln in seinem Gesicht spannen sich an. Er beginnt wieder die Finger zu spreizen.
»Ist das der Name Ihrer Krankheit? Oder wissen Sie, wie sie heißt?«, sagt Berger zu ihm.
»Ich weiß, was es ist«, antwortet Chandonne in einem angespannten Tonfall.
»Und Sie leiden seit Beginn Ihres Lebens darunter?« Er starrt sie an. »Bitte, beantworten Sie meine Frage, Sir.«
»Natürlich. Eine dumme Frage. Was glauben Sie? Dass man sie sich zuzieht wie eine Erkältung?«
»Mir geht es darum, dass Sie nicht wie andere Menschen aussehen und ich mir deshalb nur schwer vorstellen kann, dass Sie mit einem Mann verwechselt wurden, der als gepflegt und gut aussehend und ohne Gesichtsbehaarung beschrieben wurde.« Sie hält inne. Sie hackt auf ihm herum. Sie will, dass er die Beherrschung verliert. »Jemand, der todschick war und einen teuren Anzug trug.« Eine weitere Pause. »Und haben Sie mir nicht vorhin erzählt, dass Sie wie eine obdachlose Person lebten? Wie können Sie der Mann im Lumi gewesen sein, Sir?«
»Ich hatte einen schwarzen Anzug an, ein Hemd und ein e Krawatte.« Hass. Chandonnes wahre Natur beginnt durch seinen Mantel aus dunkler Täuschung zu scheinen wie ein ferner kalter Stern. Ich rechne jeden Augenblick damit, dass er sich über den Tisch stürzt und Berger an der Gurgel packt oder ihren Kopf gegen die Betonwand drischt, bevor Marino oder sonst jemand einschreiten kann. Ich halte fast den Atem an. Ich muss mir in
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