Das letzte Riff
sie?
Die Decks wimmelten von Männern, weil beide Wachen oben waren, um wieder Fahrt ins Schiff zu bringen. Die beiden anderen Vierundsiebziger fielen hinter ihnen schon ab. Ihre Kommandanten vergingen sicher vor Neugier, was die Fregatte gemeldet hatte.
Keen beobachtete seine Männer. Die Segelbedienung war besser geworden, aber noch lange nicht gut genug. Er nickte Adam zu. »Sie sind mir vielleicht einer!« Absichtlich hatte er die beiden Bolithos in der Kajüte alleingelassen. Sie hatten sich in der kurzen Zeit bestimmt viel mitzuteilen, und wie jeder Seemann wußte, konnte solch ein Treffen immer das letzte sein.
Adam sagte: »Von der kleinen Insel mit der Batterie habe ich Flaggleutnant Jenour eine Lageskizze gegeben.« Er seufzte. »Aber ich bezweifle, daß die Franzosen sich dort lange aufhalten werden. Sie können sich doch ausrechnen, daß ich davon in Antigua berichte.« Bitter fügte er hinzu: »Was immer das bewirken mag!«
Bolitho nahm seinen Arm. »Es dauert länger, als du glaubst, eine Armee in Bewegung zu setzen, Adam. Mein Instinkt sagt mir, sie werden von dort und vielleicht auch von anderen Inseln losschlagen, sobald unser Angriff auf Martinique begonnen hat. Sie haben hier viel bessere Kundschafter als wir.« Er senkte die Stimme. »Wir sehen uns bald wieder, Adam. Cochrane ist nicht der Mann, der mir eine Fregatte vorenthält, die ich dringend brauche.«
Adam zwang sich zu einem Lächeln. Keens Nähe hatte in ihm quälende Erinnerungen an Zenoria geweckt. An Zenoria, die sich Keen hingab, wie sie sich ihm hingegeben hatte.
Grüßend hob er die Hand an den Hut und kletterte schnell nach unten in seine wartende Gig.
Bolitho sagte leise: »Adam ist immer noch ein Hitzkopf. Hat alles riskiert, nur um uns zu benachrichtigen.«
Keen bemerkte Bolithos besorgte Miene. »Aber er hat ein Schiff und bessere Aussichten als je zuvor. Das einzige, was ihm fehlt, ist eine liebende Frau, die auf ihn wartet, wenn er zurückkommt.«
Zu Sedgemore sagte er: »Sie scheinen es eilig zu haben, Sir. Also los.« Sofort eilten alle an ihre Plätze, die Seesoldaten ebenso wie die Matrosen. Die Offiziere bildeten blaue Inseln der Autorität im Gewimmel.
Bolitho informierte Jenour: »Yovell muß Befehle für mich ausschreiben, Stephen. Wir wollen keine Zeit mit einer Kapitänskonferenz verschwenden, sondern ein Boot mit meinen Befehlen zur
Valkyrie
und zur
Relentless
schicken.«
»Wollen Sie die kleine Insel ohne
Tybalts
Unterstützung angreifen, Sir?« fragte Jenour besorgt.
»
Tybalt
wird uns schon finden. Herrick sollte die Depeschen inzwischen kennen und sie losschicken. Danach können wir nur raten.«
Jemand meldete: »
Anemone
setzt das Großsegel!« Ein paar Wachfreie riefen und winkten ihr zu, als sie sich überlegte und Fahrt aufnahm.
Bolitho sah, wie sie immer schneller wurde. »Gott behüte dich, Adam«, flüsterte er.
Später am Tag ließ der zunehmende Nordost auch die
Black Prince
krängen, bis die Stückpforten des Unterdecks in Lee durchs Wasser zogen. Bolitho saß allein in seiner Kajüte, betastete sein verletztes Auge und legte Catherines Brief vorsichtig auf den Tisch.
»Mein Liebster, wo magst du heute sein und was magst du heute tun?« las er. Vorsichtig hob er ein gepreßtes Efeublatt hoch, scharlachrot vom Frost. Sie hatte es dem Brief beigelegt, als Erinnerung an sein Zuhause.
Bolitho schob es in den Umschlag zurück und spürte plötzlich, daß Tränen seinen Blick trübten.
Vor dem Gefecht
Kapitän Valentine Keen wartete, bis Bolitho, unter den Heckfenstern sitzend, einige Berechnungen auf seiner Karte beendet hatte, und sagte dann: »Nichts Neues zu berichten, Sir.«
Bolitho vergegenwärtige sich noch einmal den halbkreisförmigen Bogen, auf dem verteilt die Inseln unter dem Winde und über dem Winde lagen. Es waren Namen, die er nie vergessen würde: Mola, die Saintes, die Mona-Passage – enge Fahrwasser, zerrissene Küsten –, und alle mit Blut in sein Gedächtnis geschrieben. Große Seeschlachten waren hier gewonnen oder verloren worden, darunter eine, die England seine amerikanischen Kolonien gekostet hatte. Wie konnte eine so kleine Nation soviel aushalten? England kämpfte allein gegen Frankreich, Spanien, Holland und damals auch noch gegen Amerika. Jetzt sah es zwar so aus, als ob sich der Krieg in Europa wendete, doch hier in der Karibik waren die Gewichte noch so verteilt wie damals. Und die Chance, den Feind auszumachen und zu vernichten, war mehr eine Frage des
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