Das letzte Riff
Glücks als des Könnens.
Keen schlug vor: »Wir könnten noch mal im Nordwesten suchen, Sir. Vielleicht hat Kapitän Crowfoot seine Schiffe nach Nevis geführt, weil er hoffte, den Feind dort zu finden.«
»Daran habe ich auch gedacht. Crowfoot ist ein Mann mit scharfem Verstand.« Bolitho sah wieder auf die Karte. »Jedenfalls hätte ich das an seiner Stelle getan. Zwischen diesen Inseln hier kann man ganze Geschwader verstecken.« Die nagende Sorge kam wieder. »Aber er weiß doch nicht, was Adam vor Bird Islands erlebt hat. Wenn bloß Herrick die Depeschen geöffnet hätte! Vielleicht enthielten sie ja nichts Neues, aber …«
»Ihre Lordschaften«, meinte Keen, »schicken doch eine Fregatte wie die
Anemone
nicht ohne triftigen Grund los.« Er sprach jetzt genauso verbittert wie vor ein paar Stunden Adam.
Bolitho entschied: »Signal an
Relentless
und
Valkyrie
: ›Dwarslinie zum Flaggschiff bilden. Solange es noch hell ist, fünf Meilen Abstand halten‹. Damit können wir mehr Seeraum überblicken.« Er lauschte auf den Wind im Rigg: auffrischend, sie würden also noch ein paar Knoten schneller segeln können. Er entließ Jenour zu seinen Signalgasten.
»Beide sind erfahrene Kommandanten, Val«, fuhr er dann fort. »Kirby von der
Relentless
kenne ich zwar nicht persönlich, denn in Kopenhagen führte sie Kapitän Tabart. Aber Kirby hat einen guten Ruf. Und Flippance kenne ich seit Jahren.« Er lächelte. »Er führt sein Schiff mit der Bibel und den Kriegsartikeln der Admiralität zu gleichen Teilen. In seinem Fall scheint diese Mischung zu klappen.«
Keen ging zur Tür. »Ich will Segelfläche kürzen, damit die anderen beiden ihre Stationen einnehmen können. Und dann muß ich dem Ersten sagen, er soll die besten Leute in den Ausguck schicken.«
Bolitho war an die Karte zurückgekehrt und rieb sich wieder das Lid. Unvermittelt fragte er: »Was macht eigentlich unser bester Ausguck, der Freiwillige William Owen?«
Keen war überrascht. Wie konnte sich Bolitho in einem solchen Augenblick an diesen Mann unter hundert anderen erinnern?
»Ich kann ihn nicht genug loben«, antwortete er. »Bald werde ich ihn zum Maat machen.« Zufrieden stimmte Bolitho zu. »Aber tun Sie es jetzt, Val, später kommt es vielleicht nicht mehr dazu. Und wir brauchen jeden erfahrenen Mann.«
Keen schloß die Tür leise hinter sich und eilte nach oben.
»Mr. Sedgemore, Segel kürzen.« Dann beobachtete er im grellen Sonnenlicht, wie unter Jenours Kommando die Signalflaggen nach oben stiegen und auswehten. Ein Midshipman beobachtete im Glas die anderen Schiffe und meldete, wenn die Signale von dort bestätigt wurden.
»Kurs wie bisher, Sir?« fragte Julyan, der Master.
Keen bestätigte. Vieles ging ihm gleichzeitig durch den Kopf. »Sobald wir die Reffs ausgeschüttelt haben, gehen wir auf Kurs Nordwest. Machen Sie heute das beste Mittagsbesteck Ihres Lebens, Mr. Julyan, denn danach werden wir kreuzen und wieder auf die Inseln zuhalten, vor allem auf Bird Island.« Ihre Blicke trafen sich.
»Also morgen, Sir?«
Keen nickte nur, weil die Pfeifen trillerten und die Wache zum Reffen an Deck riefen. Einem Mastersgehilfen befahl er: »Schicken Sie den Matrosen William Owen zu mir.« Tun Sie es jetzt, hatte Bolitho ihm geraten. Aus Instinkt? In einer schlimmen Ahnung? Bolitho irrte sich selten.
Er sah Owen über das Lee-Seitendeck herankommen, eilig, aber ohne jede Furcht, so kompetent, wie sie ihn nach dem Untergang der
Golden Plover
schätzen gelernt hatten.
Owen stieg aufs Achterdeck und hob grüßend die Hand an die Stirn. »Aye, Sir?«
»Jedermann an Bord lobt Sie sehr, Owen. Und ich kenne Ihre Fähigkeiten von früher.« Keen lächelte. »Ich lasse jetzt sofort ins Log eintragen, daß Sie mit diesem Augenblick befördert werden und Ihnen Sold und Verpflegung eines Maats zustehen.«
Owen starrte ihn überrascht an. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht, das Keen an Allday bei ihrem ersten Zusammentreffen auf der
Undine
erinnerte, Bolithos erstem Schiff. Wie lange war das her? Damals war er selber noch ein junger Midshipman gewesen.
»Danke, Sir!« Owen schien ehrlich erfreut. »Ich bin ja nun seit fünfzehn Jahren auf dem einen oder anderen Schiff, Sir, aber daß mir das mal passiert …« Und er wiederholte grinsend: »Danke, Sir!«
»Mr. Sedgemore wird Ihnen, sobald er Zeit findet, Ihre neuen Aufgaben erläutern. Im Augenblick arbeiten Sie mit meinem Bootssteurer zusammen, falls wir die Boote aussetzen.«
Etwas
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