Das letzte Riff
Verhör nehmen. Da Sie einen Verteidiger abgelehnt haben, dürfen Sie selbst die Fragen stellen.«
Herrick sah den bleichen Varian kaum an. »Ich möchte diese Angelegenheit nicht mit einem Mann besprechen, der bereits wegen Feigheit vor dem Feind angeklagt ist.« Er legte soviel Verachtung in seine Worte, daß man aus dem Zuschauerraum verblüfftes Stöhnen hörte. »Er ist feige und lügt. Wenn nicht andere es getan hätten, hätte ich ihn in Arrest genommen.«
Und so ging es weiter.
Ein alter Schiffszimmermann beschrieb den Zustand der kämpfenden
Benbow.
Die Pumpen waren kaum noch in der Lage gewesen, das eindringende Wasser außenbords zu schaffen. Und es gab nur Verwundete, um die Pumpen zu bemannen.
Der letzte Zeuge, der aufgerufen wurde, war Murray, Herricks Diener: ein unscheinbarer Wicht, der sich vor so vielen Goldlitzen und Schulterstücken duckte. Im Verhör gab er zu, Herrick habe stark getrunken, mehr als sonst üblich.
Der Ankläger unterbrach ihn: »Sagen Sie nur, was Sie wissen, Murray. Meinungen und Schlußfolgerungen brauchen wir hier nicht.«
Aber Herrick antwortete: »Murray hat recht. Ich habe damals mehr getrunken als üblich.«
Als der unscheinbare Diener dankbar verschwunden war, blickte John Cotgrave in seine Papiere und sagte nach kurzer Pause: »Ach so, ich habe leider übersehen, daß Sie kurz vor der Schlacht Ihre Frau verloren hatten.«
Herrick murmelte, als gäbe es in der ganzen Kajüte keinen einzigen Menschen: »Dulcie bedeutete mir alles. Nach ihrem Tod …« Müde hob er die Schultern.
»Also könnte man annehmen, daß Sie in Trauer und unter großer Belastung ein Gefecht begonnen haben, das Sie nie gewinnen konnten. Daß Ihnen das eigene Leben und das der Ihnen Anvertrauten völlig gleichgültig war.«
Kühl hatte Herrick ihn angeschaut. »Das ist nicht wahr!«
Jetzt, am zweiten Tag, waren die Zeugen sachverständiger: Den Aussagen von drei Handelsschiffskapitänen aus dem Konvoi folgte die Verlesung schriftlicher Berichte von Leuten, die das Gefecht überlebt hatten. Die Kapitäne behaupteten, sie hätten dem Feind davonsegeln können, hätte man ihnen nur erlaubt, den Konvoi zu verlassen.
Herrick widersprach: »Wir mußten zusammenbleiben. Der Feind hatte schnelle Fregatten und große Linienschiffe. Uns blieb keine andere Wahl.«
Der Vorsitzende beugte sich vor. »Habe ich richtig verstanden, daß Admiral Gambier Ihnen in seinen Depeschen nahelegte, ihm Ihre einzige Fregatte für seinen Angriff zur Verfügung zu stellen? Hat er das nicht Ihrer Entscheidung überlassen?«
»Es schien ihm wichtig.« Herrick sah ihn an. »Ich nahm an, daß wir bald auf das Nordseegeschwader stoßen würden.«
»Das Geschwader, das Sir Richard Bolitho kommandierte?«
»Genau.« Herrick gönnte ihm keinem Blick.
Cotgrave fuhr fort: »Das ist jetzt ein entscheidender Punkt. Es geht um die Ereignisse, ehe Sie auf den Feind trafen.«
Hamett-Parker zog seine Uhr. »Ich darf wohl annehmen, daß das nicht allzu lange dauern wird, Mr. Cotgrave? Einige von uns würden eine Erfrischung sehr begrüßen.«
Irgend jemand lachte laut auf, verstummte aber sofort, als Hamett-Parkers kalter Blick ihn traf.
Cotgrave zeigte sich unbeeindruckt. »Ich werde die Geduld des Hohen Gerichts nicht lange strapazieren, Sir James.« Er drehte sich zu seinem Schreiber um. »Lassen Sie Commander James Tyacke holen.« An die Beisitzer gewandt, fügte er hinzu: »Commander Tyacke befehligt die Brigg
Larne
mit vierzehn Kanonen. Ein überaus tapferer Offizier. Ich möchte Sie bitten, ihm eher mit Bewunderung als mit Mitleid zu begegnen. Es ist nämlich so …« Weiter kam er nicht. Etwas wie ein Seufzer des Erschreckens lief durch die Versammelten, als Tyacke nach vorn schritt. Er war groß, Anfang Dreißig, und damals mit Bolitho nach Kapstadt gesegelt. Dort hatte er mit einem Brander das verankerte feindliche Nachschubgeschwader vernichtet und so die Belagerung von Stadt und Hafen erheblich verkürzt. Aber bei dieser Aktion hatte er die
Miranda
verloren, sein geliebtes erstes Kommando. Bolitho hatte ihn auf der Stelle befördert und ihm die
Larne
gegeben.
Tyacke wäre ein gutaussehender Mann gewesen, wie man an seinem Profil sah. Doch die ganze rechte Hälfte seines Gesichts war weggebrannt und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Ein Wunder, daß sein rechtes Auge unverletzt geblieben war. Er hatte in der Schlacht von Abukir das untere Batteriedeck der alten
Majestic
befehligt. Sie hatte den großen
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