Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
Vom Netzwerk:
Abend nicht machen. Er behauptete, Harald habe zurück zur Party gewollt. Da Hugi mehrmals gefragt wurde, ob er genauere Angaben machen könne, wo er sich gegen ein Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag, den 30. Oktober, aufgehalten habe, wusste Dóra, dass diese Uhrzeit bei der Obduktion als Todeszeit festgestellt worden sein musste. Es wurde darauf herumgeritten, warum Hugi Haralds Augen entfernt und was er mit ihnen gemacht habe. Hugi beteuerte wiederholt, er habe keine Augen entfernt. Er besitze keine Augen, außer seine eigenen. Dóra tat der arme Kerl wirklich leid – vorausgesetzt, er sagte die Wahrheit. Obwohl sie den Fall nur oberflächlich studiert hatte, beschlich sie das Gefühl, ein so instabiler Mensch wie dieser Hugi wäre gar nicht in der Lage, nach der langen Einzelhaft und den strengen Verhören noch zu lügen. Haralds Freunde und Bekannte von der Party im Skerjafjörður standen zunächst auch unter Verdacht, wurden dann aber als Zeugen verhört. Es waren insgesamt zehn Leute, darunter vier der fünf Studenten von der Namensliste, auf die Dóra weiter vorn in der Mappe gestoßen war. Der einzige Name, der fehlte, war der des Medizinstudenten Halldór Kristinsson.
    Alle Partygäste erzählten dieselbe Geschichte. Die Party hatte um neun Uhr angefangen und war bis etwa zwei gegangen. Dann waren alle in die Stadt gefahren. Harald und Hugi hatten die Gesellschaft schon gegen Mitternacht verlassen, aber niemand schien zu wissen, warum. Die beiden hatten behauptet, nur mal kurz wegzumüssen, und seien mit einem Taxi, das Hugi bestellt hatte, losgefahren. Zwei Stunden später hatten die anderen nicht mehr länger warten wollen und beschlossen, in die Stadt zu fahren. Gefragt, ob sie versucht hätten, Harald und Hugi anzurufen, erzählten alle erneut dieselbe Geschichte. Die Batterie von Haralds Handy sei schon früher am Abend leer gewesen, und Hugi sei bei wiederholten Anrufen auf sein Handy und seinen Festnetzanschluss nicht zu erreichen gewesen. Bei Harald zu Hause habe auch niemand abgehoben, als sie versucht hatten, dort anzurufen. Dann wurden noch ein paar Fragen gestellt, wer wann aus der Stadt nach Hause gefahren sei, aber wegen des Zeitrahmens musste es sich dabei um Scheinfragen handeln. Es stellte sich heraus, dass die Studenten zu unterschiedlichen Zeiten, spätestens um fünf Uhr, nach Hause gekommen waren. Die Letzten waren die Freunde von der Namensliste, wobei der Fünfte, der Medizinstudent Halldór, in der Stadt zu ihnen gestoßen war. Dóra blätterte weiter in der Hoffnung, man habe ihn auch verhört. Er schien der Einzige zu sein, der nicht bei der Party war, als der Mord geschah. Wo ist er gewesen?, fragte sich Dóra.
    Die Antwort befand sich weiter hinten im Kapitel. Halldór war verhört worden, und es stellte sich heraus, dass er bis Mitternacht im Landeskrankenhaus in Fossvogur gearbeitet hatte; ein Vertretungsjob neben dem Studium. Deshalb war er nicht bei der Party gewesen. Er hatte Kleidung zum Wechseln dabeigehabt und nachdem er im Krankenhaus geduscht und sich umgezogen hatte, hatte er den Bus in die Innenstadt genommen. Nach eigener Aussage war sein Auto kaputt, und er gab den Namen einer Werkstatt an, in der sein Wagen zu der betreffenden Zeit in Reparatur war. Halldór sagte, er habe zunächst umsteigen und einen Bus in den Skerjafjörður nehmen wollen. Er habe aber den letzten Bus knapp verpasst und daher beschlossen, lieber direkt in die Stadt zu fahren und in einer Kneipe auf die anderen zu warten, anstatt Geld für ein Taxi auszugeben oder zu Fuß zu gehen. Er hatte die Partygäste angerufen und erfahren, dass sie gerade auf dem Sprung waren. Um genau ein Uhr hatte er das Kaffibrennslan betreten und sich ein Bier bestellt. Gegen zwei hatte er endlich die anderen getroffen, die mit einem Taxi in die Innenstadt gekommen waren.
    In den Zeugenaussagen verschiedener Dozenten der Historischen Fakultät ging es vor allem um deren Verhältnis zu Harald, und alle sagten das Gleiche – sie hätten ihn privat nicht gekannt und könnten nicht viel über ihn sagen. Es wurde auch nach einem Meeting im Árnagarður am Mordabend gefragt. Man hatte die Bewilligung eines hohen Erasmus-Stipendiums für die Zusammenarbeit mit einer norwegischen Universität gefeiert. Dóra las zwischen den Zeilen, dass es sich bei diesem »Meeting« eher um einen Cocktailempfang gehandelt hatte, der bis in den Abend hineinreichte. Die Letzten waren erst kurz vor Mitternacht gegangen. Dóra kannte

Weitere Kostenlose Bücher