Das Letzte Ritual
Gewebeproben von ihm finden.«
»Wäre das möglich gewesen?«, fragte Dóra.
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Es ist jedenfalls klar, dass solche Gewebeproben jetzt, so lange nach der Tat, kaum mehr von Nutzen sind, selbst wenn wir den Tatgegenstand finden sollten.« Er räusperte sich. »Kommen wir zum Zeitpunkt des Todes. Das ist wesentlich komplizierter.« Der Arzt blätterte in der Akte und nahm ein paar Seiten heraus. »Ich weiß nicht, wie vertraut Ihnen unsere Arbeitsweise ist, das heißt, wie wir welche Schlüsse ziehen.« Er schaute Dóra und Matthias an.
»Darüber weiß ich gar nichts«, beeilte sich Dóra zu sagen. Sie merkte, dass das Matthias auf die Nerven ging. Er sagte kein Wort, was Dóra aber nicht weiter störte.
»Also, wir müssen alle Hinweise sammeln, die sich an oder in der Leiche oder in ihrer direkten Nähe oder an dem Ort, an dem sie gefunden wurde, befinden. Wir nutzen ebenfalls Hinweise aus dem Leben des Verstorbenen, zum Beispiel wann er zum letzten Mal gesehen wurde, wann er zuletzt etwas gegessen hat, welche Gewohnheiten er hatte usw. Das ist besonders bei einem gewaltsamen Tod wie diesem von Bedeutung.«
»Klar«, sagte Dóra und lächelte den Arzt an.
»Diese Informationen oder Hinweise werden dann auf verschiedene Weise benutzt, um die Todeszeit möglichst genau festzulegen.«
»Und wie geht das?«, fragte Dóra.
Der Arzt lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sichtlich zufrieden mit ihrem Interesse. »Es gibt zwei Herangehensweisen: Zum einen beurteilt man die Veränderungen an der Leiche. Diese gehen mit einer bestimmten Geschwindigkeit vonstatten, wie zum Beispiel Totenstarre, Körpertemperatur und Verwesung. Zum anderen vergleicht man gewisse Informationen mit bekannten Zeitangaben; wann nahm der Verstorbene die Nahrung zu sich, die sich im Magen befindet, wann wurde sie verdaut usw.«
»Wann starb er?« Matthias kam direkt zum Thema.
»Eine vorschnelle Frage«, entgegnete der Arzt und lächelte. »Ich weiß nicht, ob ich das eben schon erwähnte, aber je eher eine Leiche nach dem Ableben gefunden wird, desto eindeutiger sind die Hinweise. In diesem Fall vergingen etwa anderthalb Tage, was nicht schlecht ist. Zumal sich die Leiche in einem Gebäude befand, wodurch die Raumtemperatur eine relativ bekannte Größe ist.« Er öffnete den gelben Aktenordner und überflog eine Textseite. »Der polizeilichen Ermittlung zufolge wurde Harald zuletzt von einem unbeteiligten Zeugen um 23:42 an besagtem Samstagabend gesehen, als er ein Taxi bezahlte und dieses in der Hringbraut verließ. Daher kann man sagen, dass dies der Anfangspunkt des Zeitrahmens ist, in dem die mögliche Todeszeit liegt. Der Endpunkt des Zeitrahmens ist selbstverständlich der Fund der Leiche um 7:20 am Montagmorgen, dem 31. Oktober.«
Er verstummte und blickte die beiden an. Dóra nickte, um ihm zu signalisieren, dass sie ihm folgen konnte und er fortfahren möge. Matthias war immer noch eine Salzsäule.
»Nachdem die Leiche gefunden und die Polizei am Tatort eingetroffen war, wurde die Körpertemperatur gemessen. Sie war genauso hoch wie die Zimmertemperatur. Dies zeigte sofort, dass nach Eintreten des Todes eine gewisse Zeit vergangen war. Wie schnell die Körpertemperatur abfällt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bei einer schlanken Person geht es beispielsweise schneller als bei einer dicken Person, da der Temperaturaustausch bei einer schlanken Person verhältnismäßig größer ist.« Der Arzt machte eine ausladende Handbewegung. »Es kommt auch auf die Kleidung und den Zustand der Leiche an, auf ihre Körperhaltung, auf die Luftzirkulation und die Luftfeuchtigkeit im Raum und vieles mehr. All diese Informationen sind Teil der Analyse, die ich eben erwähnt habe.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«, insistierte Matthias.
»Eigentlich nichts. Wir konnten dadurch den Zeitrahmen etwas besser eingrenzen. Es ist klar, dass diese Herangehensweise uns nur Hinweise zum Todeszeitpunkt geben kann, wenn die Körpertemperatur sich von der Zimmertemperatur unterscheidet.« Er stöhnte. »Wenn die Leiche die Zimmertemperatur angenommen hat, passt sie sich dieser verständlicherweise an. Wir können allerdings berechnen, wie lange eine Leiche braucht, um die Zimmertemperatur anzunehmen, und daraus folgern, dass dies die minimale Zeit ist, die seit dem Tod vergangen sein muss.« Er ließ seinen Blick das Blatt hinunterwandern. »Hier steht es. In diesem Fall setzte die Analyse den
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