Das Letzte Ritual
Einziger gegen Haralds Aufnahme ausgesprochen hatte. Er hatte sofort ein komisches Gefühl gehabt, vor allem als er das Thema von Haralds Magisterarbeit sah, bei der es um Hexenverfolgung in Deutschland ging. Da wusste er sofort, dass mit dem jungen Mann Unheil im Anzug war. Aber er musste sich der Demokratie beugen, und jetzt hatte er die Misere, zusätzlich zu allem anderen, was der junge Mann verursacht hatte. »Wer weiß davon?«
»Ich. Du. Sonst habe ich mit niemandem darüber gesprochen, außer mit dem EDV-Leiter, aber der kennt nicht die ganze Geschichte. Er glaubt, es geht nur um die Datei.« Sie zögerte. »Und dann habe ich noch Bogi gefragt; er hat mit der Sammlung gearbeitet, als sie ankam, und ich habe versucht, etwas aus ihm herauszubekommen. Er vermutet wohl, dass da etwas faul ist. Wahrscheinlich glaubt er, der Brief sei verschlampt worden. Ich habe ihm nichts über meinen Verdacht erzählt.«
Bogi war einer der fest angestellten Wissenschaftler des Instituts. Er war ein ruhiger Typ und Gunnar fand es unwahrscheinlich, dass Bogi die Sache an die große Glocke hängen würde.
»Wann soll die Sammlung zurück in Dänemark sein? Wie viel Zeit habe ich, den Brief zu finden?«
»Ich kann das höchstens noch eine Woche hinauszögern. Wenn der Brief dann immer noch nicht aufgetaucht ist, habe ich keine andere Wahl, als den Verlust bekannt zu geben. Und ich weise dich schon mal darauf hin, dass dein Name dabei eine ziemlich große Rolle spielen wird. Mir ist übrigens zu Ohren gekommen, dass es nicht das erste Mal ist, dass Dokumente verschwinden und die Historische Fakultät damit in Verbindung steht.« Sie sah ihn forschend an.
Gunnar stand mit erröteten Wangen auf. »Ich verstehe.« Er traute sich in Anbetracht der Sachlage nicht, dem noch etwas hinzuzufügen, drehte sich aber in der Türöffnung noch einmal um, um eine letzte Frage zu stellen, die ihm auf der Seele lag – auch wenn er am liebsten mit lautem Türknallen hinausgerannt wäre. »Hast du eine Ahnung, was in dem Brief gestanden haben könnte? Irgendjemand muss sich doch daran erinnern.«
Maria schüttelte den Kopf. »Bogi arbeitete eigentlich an einer Forschungsarbeit über die Gründung der Diözese von Seeland und deren Einfluss auf die Kirchengeschichte Islands und konnte sich nur dunkel daran erinnern. Er weiß aber immerhin noch, dass der Brief schwer zu verstehen war und dass es um die Hölle, die Pest und den Tod irgendeines Boten ging. Das war das Einzige, was ich aus ihm herausbekommen konnte, ohne dass er Verdacht schöpfen konnte.«
»Ich melde mich«, sagte Gunnar zum Abschied. Er verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich, ohne auf Marias Abschiedsgruß zu warten.
Eins war klar. Er musste diesen Brief finden. Unbedingt.
9. KAPITEL
Dóra drehte sich langsam auf dem glänzenden Parkett in dem riesigen Wohnzimmer. Es war minimalistisch eingerichtet, so wie es heutzutage als schick gilt. Den wenigen Möbeln sah man ihren hohen Preis an. In der Mitte des Zimmers standen zwei stilvolle, niedrige schwarze Ledersofas. Dóra hätte sich liebend gern probeweise in eines von ihnen sinken lassen, wollte Matthias gegenüber aber nicht zugeben, wie ungewohnt diese Umgebung für sie war. Zwischen den Sofas stand ein noch niedrigerer Tisch. Er schien kaum Beine zu haben – die Tischplatte befand sich fast direkt auf dem Fußboden. Dóra ließ ihren Blick über die Wände schweifen. Bis auf einen großen Flachbildschirm mitten an einer Wand wirkte die Wanddekoration sehr altertümlich. Im Raum standen einige antike Gegenstände, darunter ein alter, klobiger Holzstuhl, den Dóra für echt hielt. Sie dachte darüber nach, ob Harald selbst die Wohnung so eingerichtet hatte oder ob dies das Werk eines Innenarchitekten war. Die Kombination von alten und modernen Möbeln machte den Raum sehr ungewöhnlich und verlieh ihm eine persönliche Note.
»Wie gefällt es Ihnen?«, fragte Matthias beiläufig. Seinem Tonfall nach zu schließen, war er im Gegensatz zu Dóra an Luxus gewöhnt.
»Das ist wirklich eine tolle Wohnung«, entgegnete sie und trat zu einer der weißen Wände, um den uralten, gerahmten Kupferstich zu begutachten. Sie musterte das Bild und wich abrupt zurück. »Was ist das denn Abscheuliches?« Das Bild wimmelte von Menschen; der Künstler hatte sich redliche Mühe gegeben, sie alle darauf unterzubringen. Der schwarz-weiße Kupferstich zeigte etwa zwanzig Menschen, überwiegend Männer. Sie waren paarweise angeordnet,
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