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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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der von einem Eisenstiefel zerquetscht wurde. Außerdem hat man ihr beide Ohren abgeschnitten. Es gab bestimmt noch mehr, was er nicht zu Papier brachte. Wunden und Ähnliches.« Matthias blickte kurz von der Straße zu Dóra. »Ich erinnere mich an den Schlusssatz in einem der letzten Briefe; er lautete ungefähr so: Suchet ihr nach dem Bösen, so werdet ihr es nicht in der sterblichen Hülle meiner geliebten, jungen, unschuldigen Frau finden. Es wohnt denjenigen inne, die sie der Schuld bezichtigen. «
    »Mein Gott«, stieß Dóra hervor und ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Sie erinnern sich aber verdammt gut daran.«
    »Man vergisst den Inhalt dieser Briefe nicht so schnell«, entgegnete Matthias trocken. »Das ist natürlich nicht das Einzige, worum es geht. Der Mann hat alles Mögliche versucht, um sie freizubekommen, von juristischen Argumenten bis hin zu puren Drohungen. Er war verzweifelt und liebte seine Frau mehr als sein Leben. Sie muss wunderschön gewesen sein, wenn man seinen Worten glauben darf. Sie waren erst kurz verheiratet.«
    »Durfte er sie im Gefängnis besuchen? Hat er diese Briefe geschrieben, während sie in Gefangenschaft war?«, fragte Dóra.
    »Nein und ja«, sagte Matthias. »Nein – er durfte sie nicht besuchen, aber einer der Wächter hatte Mitleid mit ihr und überbrachte dem Ehemann ihre Botschaften – Botschaften, die den Briefen zufolge immer niedergeschlagener und hoffnungsloser wurden. Was Ihre zweite Frage betrifft: Alle Briefe außer einem wurden geschrieben, während sie in Gefangenschaft war und ihr Ehemann versuchte, ihre Freilassung zu bewirken. Alle außer dem letzten; den schrieb er, als sie wieder frei war. Allein dieser Brief beschreibt menschliche Schicksale, die man sich vor Augen halten sollte, wenn man mit eigenen Problemen konfrontiert ist.«
    »Erzählen Sie«, sagte Dóra, ohne es wirklich hören zu wollen.
    »Sie müssen bedenken, dass der damalige Stand der medizinischen Forschung nicht mit heute vergleichbar war, im Grunde war es nur ein Herumdoktern. Sie können sich bestimmt vorstellen, welche Qualen Kranke und Verletzte erleiden mussten, ganz zu schweigen von den seelischen Qualen einer jungen Frau, die bei jedermann beliebt war und für ihre Schönheit bewundert wurde. Als man sie freiließ, waren ihr Fuß und ihre Finger verstümmelt. Sie hatte keine Ohren mehr. Ihr Körper war mit Narben übersät, die man ihr durch Messerstiche zugefügt hatte, weil man nach Stellen suchte, die nicht bluteten. Aus dem Brief lässt sich noch Weiteres herauslesen, wird aber nicht genau beschrieben. Was würden Sie tun?« Matthias blickte Dóra erneut an.
    »Hatte sie Kinder?«, fragte Dóra. Instinktiv führte sie ihre rechte Hand zu ihrem Ohr – sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie wichtig Ohren für das Aussehen waren.
    »Nein«, antwortete Matthias.
    »Dann hat sie sich umgebracht«, sagte Dóra, ohne zu überlegen. »Endlose Qualen und Schmerzen kann man für seine Kinder ertragen, sonst nicht.«
    »Bingo«, sagte Matthias. »Sie lebten auf einem Gutshof an einem kleinen Fluss und sie humpelte an dem Abend, an dem sie nach Hause gekommen war, dorthin und ging ins Wasser. Wenn sie in besserer Verfassung gewesen wäre, hätte sie schwimmen und sich retten können, aber in einem schweren Kleid, wie es damals Mode war, mit verstümmeltem Fuß und verstümmelten Händen dauerte es nicht lange.«
    »Was hat ihr Mann daraufhin getan? Steht davon etwas in dem Brief?«, fragte Dóra und verdrängte den Gedanken an die junge Frau.
    »Ja, allerdings. Er hat dem Inquisitor Kramer das Teuerste im Leben genommen, so wie dieser ihm das Teuerste im Leben nahm – und das befände sich nun auf dem langen Weg zur Hölle«, erklärte Matthias. »Aus der Beschreibung ist nicht ersichtlich, wer diesen Racheakt ausgeführt oder wo er stattgefunden hat, geschweige denn, was die Hölle damit zu tun hat. Historische Quellen geben keine näheren Hinweise. Im Folgenden teilte der Ehemann dem Bischof mit, er möge ruhig schlafen – er schreibt, der Bischof habe auf sein Gesuch nicht rechtzeitig reagiert, aber Gott richte am Ende über seine Diener. Dann zitiert er etwas aus dem Alten Testament – darin ist, wie Sie wissen, nicht von Vergebung die Rede. Ich kann es nicht genau erklären, aber in seinen Schlussworten lag eine Art Drohung, von der ich nicht weiß, ob er sie wahr gemacht hat – der Bischof starb ein paar Jahre später. Könnte gut sein, dass

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