Das Letzte Ritual
der knapp einstündige Hin- und Rückflug nach Hólmavík war günstiger, als wenn sie mit dem Auto gefahren wären und im Hotel übernachtet hätten.
»Okay, wir wären dann soweit«, sagte der Pilot lächelnd.
Sie flogen über Reykjavik und die Stadt sah aus der Luft viel größer aus. Matthias blickte interessiert nach unten, während Dóra lieber nach vorn schaute – dazu hatte man im Flugzeug schließlich nur selten die Möglichkeit. Der Flug nach Hólmavík dauerte nicht lange; schon rückte der Flugplatz ins Blickfeld: eine Landebahn und ein winziges Gebäude, direkt neben dem Ort, auf der gegenüberliegenden Seite der Nationalstraße. Der Pilot überflog die Landebahn und begutachtete sie; zufrieden mit dem, was er sah, wendete er die Maschine und landete weich. Sie lösten ihre Sicherheitsgurte und stiegen aus.
Matthias schaltete sein Handy ein. »Wie ist die Nummer der Taxizentrale?«, fragte er den Piloten.
»Taxizentrale?«, entgegnete der Pilot und lachte herzlich. »Hier gibt’s noch nicht mal ein Taxi – geschweige denn eine Taxizentrale. Da müssen Sie schon zu Fuß gehen.«
Dóra lächelte dem Piloten wissend zu, obwohl sie, genau wie Matthias, damit gerechnet hatte, ein Taxi vom Flugplatz zum Museum nehmen zu können. »Kommen Sie, es ist nicht weit«, sagte sie zu dem pikierten Matthias und zog ihn mit sich. Sie überquerten die völlig autofreie Straße und kamen zu einer Tankstelle mit einem Laden am Ortseingang. Dort fragten sie nach dem Weg. Die junge Bedienung war sehr freundlich, ging sogar mit ihnen nach draußen und zeigte ihnen das Museum. Es sei ein Kinderspiel, einfach die Straße runter, am Strand entlang, in den Ort hinein und dort, kurz vorm Hafen, befände sich das Museum. In der Ferne war ein schwarzes Holzhaus mit einem Torfdach zu erkennen, es waren nur ein paar hundert Meter. Dóra und Matthias machten sich auf den Weg.
»Ich kenne das Haus von den Fotos in Haralds Computer«, sagte Dóra und drehte sich zu Matthias um. Der Weg war so schmal, dass sie nicht nebeneinandergehen konnten.
»Gab es viele Fotos von hier? Ich meine, irgendwas Brauchbares?«
»Nein, eigentlich nicht. Nur diese typischen Touristenfotos und ein paar Bilder aus dem Museum, wo Fotografieren eigentlich verboten ist«, erklärte Dóra, während sie vorsichtig an einer gefrorenen Pfütze auf dem Gehweg vorbeibalancierte.
»Passen Sie auf!«, warnte sie Matthias, der einen großen Schritt über die Pfütze machte, »sie haben nicht die besten Schuhe zum Wandern an.«
Dóra musterte Matthias’ schwarze Lackschuhe. Sie passten gut zu seiner übrigen Kleidung: Anzughose mit Bügelfalte, Hemd und knielanger Wollmantel. Dóra trug Jeans und feste Schuhe und hatte vorsichtshalber ihre Daunenjacke angezogen. Matthias hatte ihre Jacke diesmal nicht beanstandet, sondern nur die Augenbrauen hochgezogen, als er Dóra abgeholt und sie sich mit dreifachem Oberkörperumfang ins Auto gequetscht hatte.
»Mit dem Tod habe ich ja gerechnet, aber nicht mit einer Expedition«, sagte Matthias genervt. »Der Mann hätte mich ruhig vorwarnen können.« Er meinte den Leiter des Hexereimuseums, mit dem er am Tag zuvor telefoniert hatte, damit sie nicht vor verschlossenen Türen stünden.
»Das tut Ihnen gut. So lernen Sie endlich, ihre Eitelkeit zu überwinden«, entgegnete Dóra. »Damit werden Sie es in Island nämlich schwer haben. Wenn wir den Fall nicht bald abschließen, muss ich Ihnen in der Stadt einen Fliespulli kaufen.«
»Niemals«, konterte Matthias mürrisch. »Und wenn ich bis zu meinem Tod hier bleiben muss.«
»Der kommt sonst aber früher, als Ihnen lieb ist«, gab Dóra zurück. »Frieren Sie nicht? Möchten Sie meine Jacke haben?«
»Ich werde heute Abend für uns Zimmer im Hótel Rangá reservieren«, wechselte Matthias abrupt das Thema, »und meinen Mietwagen gegen einen Jeep eintauschen.«
»Sehen Sie, Sie sind doch schon zu einem halben Isländer geworden.«
Von außen wirkte das Museumsgebäude altmodisch. Der Vorplatz war von einem niedrigen Steinmäuerchen umgeben und mit Kies und Treibholzstücken bedeckt. Die Eingangstür war feuerrot und hob sich von den Erdtönen des Gebäudes ab. Auf einer Holzbank vor der Tür hockte ein schwarzer, wohlgenährter Rabe. Als sie näher kamen, schaute er zum Himmel, öffnete den Schnabel weit und krächzte. Dann breitete er seine Flügel aus und flatterte auf die Dachkante. Von dort beobachtete er, wie sie ins Haus gingen. »Wie passend«, kommentierte
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