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Das letzte Sakrament

Das letzte Sakrament

Titel: Das letzte Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kowa
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überlegte, dann traf er eine Entscheidung. Es sollte die zweite folgenschwere Entscheidung seines Lebens werden. Und gleichzeitig die letzte.

19
    Roger Simovic war genervt. Nein, er war nicht nur genervt, er war mit seinen Nerven am Ende. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt, aber keiner spielt mit mir. Was soll der Scheiß? Gestern hatte er zwei Stunden in der Sixtinischen Kapelle auf den Mann mit der Basler Zeitung unter dem Arm gewartet. Doch der war nicht gekommen. Keine Entschuldigung, keine Erklärung, nur am Abend eine kurze Mail mit der Aufforderung, heute wieder zu warten. Dieses Mal allerdings im Ägyptischen Museum des Vatikans; er wusste gar nicht, dass es so etwas dort gab.
    Simovic überlegte, ob er sich wirklich ein zweites Mal vorführen lassen sollte. Wollte er gedemütigt werden, wie damals als Kind, wenn er immer als Letzter für die Fußballmannschaft gewählt worden war? Man hatte ihn oft ins Tor abgeschoben, nur dann nicht, wenn der dicke Urs mitspielte, der nur deswegen besser als er war, weil er das Tor beinahe ganz verstopfte. Dann hatte er als Linksaußen auf Bälle gewartet, die nie gekommen waren. Nein, er wurde nicht gerne abgeschoben, und er wurde nicht gerne sitzen gelassen.
    Aber er gab auch nicht gerne auf. Er beschloss, es noch einmal zu versuchen, rief sich ein Taxi und ließ sich zum Vatikan fahren.
    Am Petersplatz stieg er aus und ging an der imposanten Stadtmauer des Kirchenstaates vorbei zum Eingang der vatikanischen Museen. Die Stadtmauer beeindruckte ihn genauso wie am gestrigen Tag, er schätzte, dass sie an manchen Stellen fünfzehn Meter hoch war. War das ein Zeichen für mangelndes Vertrauen des Kirchenstaats in den Schutz Gottes oder war das ein Zeichen für Vernunft?
    Simovic ging durch den Eingang der vatikanischen Museen und hielt direkt auf das Museo Gregoriano Egizio zu, das er vor vierundzwanzig Stunden nicht einmal bemerkt hatte. Er betrat es durch ein monumentales Portal aus rotem ägyptischem Marmor.
    Museen machten ihn normalerweise nach wenigen Minuten müde. Das war einfach nicht seine Art der Informationsvermittlung, definitiv nicht. Keine Action, keine Intrigen, ja nicht einmal bewegte Bilder.
    Heute hingegen schoss so viel Adrenalin durch seine Adern, dass er sich stundenlang hier aufhalten könnte. Dummerweise hatte er aber nur noch zwei Minuten Zeit, um die Statue zu finden, vor der sie sich treffen wollten. Er schaute auf den Übersichtsplan. Da! Im übernächsten Saal. Bewusst langsam ging durch den zweiten Saal auf ihren Treffpunkt zu. Dort blieb er fasziniert stehen.
    Ein hell glänzender Steinboden und ein blauer, sanft illuminierter Sternenhimmel an der kuppelartigen Decke hielten seinen Blick gefangen. Mitten im Saal standen mehrere dunkle Marmorskulpturen auf einem Podest aus rotem Ziegelstein. Er schaute sich um, direkt neben dem Durchgang stand er: über zwei Meter groß, mit ägyptischem Kopfschmuck, in einer Haltung, die sowohl majestätisch wie auch kriegerisch war. Der unbekleidete Oberkörper muskulös, die Beine und Arme angespannt, der Blick geradeaus: Antinoos.
    Die Statue beherrschte den Raum. Doch wo war derjenige, den er hier treffen sollte? Simovic ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Er entdeckte sechs Personen: ein älteres Ehepaar, einen hageren Mittvierziger, einen grauhaarigen Priester, einen Mann im Rollstuhl und einen jungen Rucksacktouristen. Sie sahen alle nicht aus wie ein Professore . Wahrscheinlich war er noch nicht gekommen. Simovic stellte sich vor die Antinoos-Statue und betrachtete sie noch einmal. Auch auf den zweiten Blick wirkte sie beeindruckend.
    »Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet hier, im Herzen der Christenheit, eine solche Menge an heidnischen Götterstatuen zu finden ist, nicht wahr?«
    Simovic drehte sich um und blickte den Mann an, der ihn angesprochen hatte. Es war der hagere Mittvierziger.
    »Wussten Sie, dass in dieser Statue Antinoos mit Osiris verschmilzt? Osiris, ich nehme an, sagt Ihnen etwas.«
    Simovic schüttelte den Kopf. Was fiel diesem Kerl ein, ihn vollzulabern? Er wartete hier auf die Story seines Lebens, nicht auf das Gesülze irgendeines Freizeithistorikers.
    »Osiris ist eine der bedeutendsten ägyptischen Gottheiten«, fuhr der Mann fort. »Er ist der Gott der Fruchtbarkeit, des Jenseits und der Wiedergeburt. Letzteres ist kein Wunder, denn er ist von den Toten auferstanden.« Der Mann blickte Simovic durchdringend an. »Erinnert Sie das an etwas?«

20
    Endlich

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