Das letzte Sakrament
Überwachungskameras angezeigt wurden. Sie zeigten den Hauseingang, die Wohnungstür und die einzelnen Zimmer; selbst die Dachluken wurden überwacht. Offensichtlich hatte Professor Wismut an alles gedacht.
Nur eine Puppensammlung, die in einer gläsernen Vitrine ausgestellt war, irritierte Simovic. Einige ältere Holzpuppen waren darunter, bei denen die Farbe schon abgeblättert war.
»Eine heimliche Leidenschaft von mir«, erklärte der Professor. »Die erste Form menschlicher Kopien. Inzwischen sind sie fast schon perfekt.« Er zeigte auf zwei lebensgroße Babypuppen, die tatsächlich echt aussahen.
Irgendwie hat jeder einen Knall , dachte Simovic, nickte aber freundlich. »Lehren Sie eigentlich noch an einer Universität?«
»Schon lange nicht mehr«, antwortete Wismut. »Ich besitze ein privates Forschungsinstitut. Wenn es mir in der Schweiz zu ungemütlich wird, komme ich hierher.«
»Momentan ist es aber sehr gemütlich in der Schweiz.« Simovic lächelte. »Blauer Himmel, Sonnenschein. Ein Traumwetter.«
»Aber nicht so gutes italienisches Eis, um sich abzukühlen«, entgegnete Wismut und grinste.
Sie setzten sich auf eine lederne Couch im Wohnzimmer. Der Professor zerstieß einen kleinen Eisblock und schenkte ungefragt zwei Gläser Whisky ein.
»Sie sind Linkshänder?«, fragte Simovic.
Der Professor nickte irritiert. »Weshalb fragen Sie?«
»Ich war es auch einmal, aber man hat es mir ausgetrieben«, antwortete Simovic. »Als Kind habe ich das gehasst. Sie hatten wohl liberalere Eltern?«
»Wie man es nimmt«, sagte Wismut. »Also, auf unsere Story!« Die beiden stießen an. Der Professor nippte bedächtig an dem Whisky, Simovic tat es ihm nach. Sein Blick fiel auf ein großes Tuch, das wie ein Gemälde hinter einer randlosen Glasscheibe an der Wand hing. Es war wahrscheinlich mehr als vier Meter lang und etwa einen breit, es wurde von hinten beleuchtet und schimmerte rötlich braun. Simovic hatte schon einige Abbildungen des Turiner Grabtuchs gesehen, und doch stand er auf und betrachtete es so gespannt, als würde er es das erste Mal zu Gesicht bekommen.
Dabei fielen ihm mehrere dreieckige Flickstellen aus anderem Stoff auf, außerdem entdeckte er einige Brandflecken. Doch das war es nicht, was seine Aufmerksamkeit fesselte. Nein, es war nicht das Tuch selbst, es war die Person, die man darauf erkennen konnte. Wie ein unheimlicher Schatten und doch klar in den Umrissen. Es wirkte tatsächlich so, als habe das Tuch den toten Körper des schmalen und groß gewachsenen Mannes komplett bedeckt. Simovic erkannte Wundmale an Händen und Füssen, und natürlich erkannte er auf den ersten Blick Statur und das markante Gesicht mit den langen Haaren: Es war Jesus Christus!
»Ein Replikat«, erklärte Wismut und stellte sich neben ihn. »Aber ein sehr gelungenes, wie ich finde. Sehen Sie nur!« Er zeigte auf die Kopfpartie. »Man kann überall Blutspuren erkennen. Interessanterweise stammen sie nicht, wie aufgrund der Darstellung des gekreuzigten Jesus im Allgemeinen angenommen wird, von einer Dornen krone , sondern von einer Dornen haube , die den ganzen Kopf wie ein Helm umfasst. Sie war damals üblich bei Hinrichtungen. Wie wir heute wissen, wurde die Dornenkrone damals in Judäa gar nicht verwendet.« Der Professor nippte an seinem Whisky. »Die Wundmale an den Händen sind in der Hand wurzel lokalisiert, obwohl die kirchlichen Abbildungen diese immer auf der Hand fläche darstellen«, erklärte er. »Auch hier bestätigt die neueste Forschung, dass das Tuch der Realität entspricht. Man hat nämlich bei Kreuzigungen die Handwurzel mit Nägeln durchschlagen, weil die Handfläche viel zu instabil ist und das Opfer nicht tragen kann. Das Tuch ist also ein reales Abbild dessen, was geschehen ist. Nur leider widerspricht es damit den falschen Bildern, die sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Simovic. »Aber die Echtheit des Tuches ist doch umstritten, oder?«
»Wenn der Vatikan mit offenen Karten spielen würde, wäre diese Frage ein für alle Mal geklärt«, erwiderte Wismut.
»Wie meinen Sie das?«
»Der Vatikan hat das Tuch vor drei Jahren untersuchen lassen. Mit eindeutigem Ergebnis.«
»Und warum hat man davon nichts erfahren?«, fragte Simovic.
»Man hat nicht nur ein Tuch untersucht, sondern gleich zwei«, erklärte der Professor. »Das Turiner Grabtuch und das Schweißtuch von Oviedo, das Schweißtuch Jesu. Ein Ziel der damaligen
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