Das letzte Sakrament
Gensequenzen, die zwar genügend Unterscheidungsmerkmale besitzen, damit eine qualifizierte Aussage getroffen werden kann, die aber nicht, wie das komplette Genom, hundertprozentig einmalig sind. Bei diesen Verfahren liegt die Wahrscheinlichkeit, einen Zufallstreffer mit zwei identischen DNA-Profilen zu landen, zwischen eins zu hunderttausend und eins zu hundert Millionen.«
Simovic erinnerte sich daran, wie sie vor drei Stunden das Interview aufgezeichnet hatten. Bei diesem Argument war selbst er ins Zweifeln geraten, schließlich lebten mehrere Milliarden Menschen auf der Erde. Doch Wismut hatte ihn auch in diesem Punkt überzeugt.
»Analysiert man hingegen das komplette Genom gibt es schlichtweg keine Zufallstreffer«, fuhr Wismut fort. »Das komplette Genom ist immer eindeutig einem Menschen zuzuschreiben, es gibt keine zufällige Übereinstimmung.«
»Wie ist das zu erklären?«
»Das menschliche Genom besteht aus bis zu fünfzigtausend Genen und drei Milliarden Basenpaaren, die, miteinander kombiniert, nahezu unendliche Variationen ermöglichen. Also: Jedes Genom ist einmalig! Das wäre selbst dann der Fall, wenn die Erde von hundert oder zweihundert Milliarden Menschen bevölkert wäre.«
»Das klingt überzeugend«, sagte Simovic. »Aber was ist mit Zwillingen?«
»Ich sehe, Sie denken mit«, antwortete Wismut. »Es gibt nur zwei Ausnahmen von der Regel des einmaligen Genoms: Zum einen sind das eineiige Zwillinge. Sie verfügen logischerweise über dasselbe Genom.«
»Bezogen auf unseren speziellen Fall Jesus Christus, kann man ja wohl ausschließen, dass es einen zweitausend Jahre alten Zwilling gibt«, entgegnete Simovic mit einem überlegenen Lächeln. »Was ist also die zweite Möglichkeit?«
»Jeder kennt sie«, antwortete der Professor. »Man hat sie schon im letzten Jahrhundert bei einem Schaf angewendet, dann bei Pferden, Hunden und Affen. Ich spreche vom Nukleustransfer des Erbmaterials in eine Eizelle. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt man das Klonen.«
Wieder hörte Simovic Buhrufe aus den Zuschauerreihen. Das hatte er erwartet. Zu viele schlechte Science-Fiction-Filme zu dem Thema waren gedreht worden, und zu viele Ankündigungen von betrügerischen Wissenschaftlern hatte es schon gegeben, sie könnten einen Menschenklon erschaffen. Aber jeder wusste insgeheim, dass es einmal möglich sein würde, einen Menschen zu klonen. Es war nicht zu verhindern, dass die Wissenschaft diesen großen Schritt machen würde. Jetzt war es so weit.
»Ich dachte, Klonen ist eine unzuverlässige Technik?«, fragte Simovic und gab sich skeptisch.
»Früher waren Klone nicht perfekt, das ist korrekt. Die tierischen Klone lebten kürzer, waren krankheitsanfälliger und wirkten, als seien sie nicht richtig zusammengebaut. Das lag vor allen Dingen darin begründet, dass damals die Mitochondrien-DNA, welche aus der Eizelle stammt, nicht ausgetauscht werden konnte. Ein zu hundert Prozent identischer Klon war deshalb vor einigen Jahren noch nicht möglich.«
»Und heute?«
»Heute ist das kein Problem mehr«, erklärte der Professor. »Die Verfahren sind so verfeinert worden, dass ein absolut identischer Klon entstehen kann, der sich in nichts von seinem Ursprung unterscheidet, außer natürlich in seinem Alter und in seiner Sozialisation. Diese wissenschaftlichen Fortschritte lassen sich auch auf den Menschen anwenden.«
»Aber das hat doch bisher noch nie jemand getan, oder?«
»Vor uns nicht, das ist korrekt«, entgegnete der Professor und lächelte, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
»Vor Ihnen nicht?«, fragte Simovic.
»Richtig. Wir sind die Ersten, denen es gelungen ist, einen menschlichen Klon zu erzeugen.«
»Und dieser Klon lebt?«
»Natürlich, er ist quicklebendig.«
»Und wen haben Sie geklont?«
»Das liegt doch wohl auf der Hand, oder?« Professor Wismut strahlte.
Die Aufzeichnung endete, und Simovic war nun wieder live zu sehen.
»Professor Wismut hat also nicht irgendjemanden geklont. Nein, er hat Gottes Sohn geklont, Jesus Christus! Ja, Sie haben richtig gehört: Jesus Christus ist von den Toten auferstanden! Gleich können Sie ihn sehen. Hier bei BIGNEWS.«
29
Kommissar Zumstein hielt den schmalen Teststreifen gegen das Licht und zog seine linke Augenbraue nach oben. »Der ist rot wie ein Ferrari! Also wenn die liebe Frau Leuenberger-Irgendwas nicht kokst, bau ich im August ’nen Schneemann!«
»Nur heißt das noch lange nicht, dass sie etwas mit seinem Tod zu tun hat«,
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