Das letzte Sakrament
Mitteleuropäers.
Der Junge lächelte. Er wirkte nicht, als würde er die Sünden der Welt auf seinen Schultern tragen. Er strahlte Zuversicht aus, Freude, Liebe und Vertrauen.
Er war Jesus. Jesus Christus im Alter von zwei Jahren. Der Hintergrund, vor dem er saß, war kaum zu erkennen, es schien das Innere einer Kirche zu sein. Es war kein pompöses Gotteshaus, sondern ein schlichter mittelalterlicher Bau mit gewölbter Decke, einem hölzernen Kruzifix und den Bildern des Kreuzweges an den Wänden.
Der Junge schien in sich selbst zu ruhen, als würde er beten oder meditieren. Er wirkte schon jetzt reifer als die meisten Erwachsenen.
»Der kleine Jesus ist heute vor zwei Jahren geboren worden und damit in dem Alter, in dem Herodes die Kinder seines Landes hat ausrotten lassen«, sagte Simovic. »Auch in unserer Zeit wird es Menschen geben, die nicht den Erlöser, sondern einen Feind in ihm sehen. Daher hält Professor Wismut den Aufenthaltsort von Jesus Christus geheim. Vorerst wird es nur dieses eine Video von ihm geben. Erwarten Sie keine Pressekonferenz, keine Verlautbarungen, keine Bilder. Sobald die Zeit gekommen ist, wird Jesus Christus sich an sein Volk wenden.«
Wieder hörte Simovic Buhrufe. Sicher nur ein paar Unbelehrbare , dachte er und blickte weiter in die Kamera. »Die Blutprobe des zweijährigen Jesus wird zusammen mit einer Vergleichsprobe der Grabtücher an weltweit fünfzig renommierte Universitäten und Laboratorien verschickt, sodass die sich von der Authentizität der vorgelegten Daten überzeugen können. Jedes Jahr am 6. August, dem Tag seiner Auferstehung, wird es ein Video geben, dass seine Entwicklung …«
Völlig unvermittelt traf Simovic ein Hieb in den Rücken. Er stolperte nach vorne und konnte nur mit Mühe verhindern, dass er stürzte. Taumelnd drehte er sich um und sah, dass die Kamera auf den Boden gefallen war. Jerome und der Kameramann wurden von vier Männern in dunklen Anzügen festgehalten, zwei weitere kamen auf ihn zu, ergriffen ihn und drehten ihm den Arm auf den Rücken. Simovic biss die Zähne zusammen. Noch mehr Anzugträger tauchten auf und bildeten einen Kreis um die Journalisten. Das Publikum schaute irritiert zu, doch es tat nichts.
Dann fielen zwei Schüsse. Frauen begannen zu schreien, die Zuschauer rannten auseinander. Nur ein paar jüngere Männer blieben stehen und riefen den Anzugträgern zu, aufzuhören.
»Territorio Vaticano!«, brüllte ihnen der Anführer entgegen. In seiner Rechten hielt er die Pistole, mit der er in die Luft geschossen hatte. Er fuchtelte damit in Richtung der Männer und befahl ihnen, zu verschwinden. Sie schauten sich unsicher an, dann begann einer von ihnen davonzurennen und die anderen folgten ihm.
In Sekundenschnelle nahmen die Anzugträger den Fahrer des BIGNEWS-Übertragungswagens und den Techniker fest, anschießend sperrten sie den Petersplatz ab.
Simovic ließ sich abführen. Er leistete keinen Widerstand. Es war zwecklos, sich zu wehren. Die Angreifer waren in der Überzahl, sie handelten schnell und routiniert. Es waren Profis.
Da muss jemand hinter den hohen Mauern die Sendung gesehen haben … Simovic musste beinahe lachen.
Jerome wehrte sich und schrie mit sich überschlagender Stimme um Hilfe. Einer der Anzugträger drückte ihm ein Klebeband vor den Mund. Der Mann, der Simovic abführte, verstärkte seinen Griff. Es tat zwar weh, aber Simovic ließ es geschehen, er genoss es geradezu.
Perfekt , dachte er. Die Gendarmeria Vaticana unterbricht meine Sendung und verhaftet mich und meine Leute vor laufender Kamera. Einen größeren Skandal hätte ich mir gar nicht wünschen können. Danke, ihr Idioten!
31
Pandera ließ das Telefon fast eine Minute lang klingeln, bis endlich jemand dranging.
»Hier ist Kommissar Pandera von der Kriminalpolizei Basel. Ich würde gerne Bischof Obrist sprechen.«
»Es tut mir leid, aber das ist nicht möglich«, antwortete eine weibliche Stimme.
»Und Herrn Kunen?«
»Heute sind beide für niemanden mehr zu sprechen«, antwortete die Frau. »Angesichts der Umstände nehme ich an, Sie haben Verständnis dafür.«
Angesichts der Umstände? Ist heute irgendein kirchlicher Feiertag? Pandera kündigte an, sich morgen noch einmal zu melden, dann verabschiedete er sich und fuhr nach Hause. Es war schon spät genug.
Als er dort ankam, war einiges anders als sonst. Die ganze Familie saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Das war schon ungewöhnlich genug, doch der Bildschirm zeigte
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