Das letzte Sakrament
selbst wenn viele Kirchenkritiker das behaupteten.
Ja, sie war ein Unternehmen, aber eines, das mit Ideologien handelte. Warum sonst bekämpfte der Papst den Jesusklon mit allen Mitteln? Der höchste Würdenträger der katholischen Kirche hatte sofort verstanden, worum es ging: Niemand braucht einen Stellvertreter Christi auf Erden, wenn Christus selbst auf Erden weilt. Das und nichts anderes war der Kern des katholischen Widerstands gegen den neuen Jesus.
Die Gläubigen hingegen waren geteilter Meinung. In Südamerika und im christlichen Teil Afrikas war man begeistert. Ein neuer Erlöser hatte die Welt betreten. Er würde das Ungleichgewicht auf der Welt und die Ungerechtigkeit beenden. Endlich!
In der säkularen Welt des Westens waren vor allen Dingen die sonst so religionskritischen Wissenschaftler auf der Seite des neuen Jesus, während die Gläubigen verunsichert nach Orientierung suchten. War der neue Jesus wirklich wie der alte? Wie war der alte überhaupt gewesen? So wie es in der Bibel stand oder so wie die Kirche die Schriften interpretierte? Oder keines von beidem? War er vielleicht sogar der streitbare, ja kriegerische Jesus der Schriftrollen von Qumran?
Schon hatten sich die ersten christlichen Gruppen nach Rom aufgemacht, um dem neuen Jesus als Jünger zu folgen. Sie waren in die Ewige Stadt gekommen, obwohl niemand wusste, wo Jesus sich aufhielt. Niemand außer ihm.
Und das sollte auch noch eine Weile so bleiben. Wismut zog sich die Schirmmütze tiefer ins Gesicht. Er hatte alles bis ins letzte Detail geplant. Trotzdem hatte er schon häufiger auf Plan B zurückgreifen müssen. Ja, er war Umwege gegangen, aber er war nie von seinem Ziel abgewichen, nicht ein einziges Mal. Schon vor Monaten hatte er gewusst, dass er in diesem Zug sitzen würde. Es war nur ein unbedeutender Regionalzug, der die Strecke mehrmals am Tag fuhr. Theoretisch hätte er auch jeden anderen davor und danach nehmen können. Aber er fuhr genau in dem Zug, den er sich vor Wochen ausgesucht hatte. Das gab ihm ein Gefühl von Macht.
Durch den Lautsprecher ertönte eine verzerrt klingende Durchsage. Er wusste auch so, dass der Zug sein Ziel erreicht hatte. Seine Reise hatte gerade erst begonnen. Er stand auf, nahm den kleinen Jesus an die Hand, griff nach seinem ledernen Koffer und blickte aus dem Fenster. Als er den Namen des Bahnhofs las, nickte er zufrieden. Dann mischte er sich unter die Menschen, die auch aussteigen wollten, und verschwand in der Masse.
41
»Das ist nicht dein Ernst?« Pandera hielt sein Handy näher ans Ohr. Im Flughafen herrschte das typische italienische Durcheinander.
»Doch, wenn ich es dir sage«, erwiderte Tamara. »Der Kerl war bei der Fremdenlegion! Es gab deswegen sogar einen Prozess gegen ihn.«
»Jetzt erzähl mit nicht, der Herr Generalvikar ist auch noch ein Kriegsverbrecher …«
»Nein, aber es ist einem Schweizer Staatsbürger verboten, in der Fremdenlegion zu dienen«, antwortete Tamara.
»Warum das denn?«
»Die Legion wurde 1831 unter anderem deswegen gegründet, weil man den damals noch zahlreichen Schweizer Söldnern ermöglichen wollte, in der französischen Armee zu dienen. Deswegen war der erste Kommandant auch ein Schweizer. Nach dem Ersten Weltkrieg sah man die Gefahr, dass Schweizer Söldner gegen das eigene Land kämpfen müssten. Daher wurde 1927 die Mitgliedschaft in der Legion verboten. Das Gesetz gilt noch heute.«
»Woher weißt du das denn alles?«, fragte Pandera, der geglaubt hatte, sich dank der unzähligen Lektionen seines Schwiegervaters in Schweizer Geschichte gut auszukennen.
»Wikipedia.«
Pandera sah sie förmlich durchs Telefon grinsen. »Und weswegen sind immer noch Schweizer in der Legion, wenn es verboten ist?«
»Weswegen werden Banken überfallen, obwohl es verboten ist?«, entgegnete sie. »Weil man glaubt, dass man nicht erwischt wird. Und da man in der Fremdenlegion nicht unter seiner echten Identität dient, ist es schwer nachzuweisen, dass jemand dabei war. Die Legion selbst schweigt dazu wie ein Grab, und wenn man selbst dichthält, passiert einem nichts.«
»Aber weshalb wurde Vikar Kunen angeklagt?«
»Ganz einfach«, antwortete Tamara. »Weil jemand ihn verpfiffen hat. Ich habe erst durch die Prozessunterlagen herausgefunden, dass er in der Legion war. Denn er hat dort unter falschem Namen gedient: Soliere …«
»Moment«, unterbrach Pandera sie. »Jemand hat ihn verpfiffen? Jemand, den wir kennen?«
»Du kommst nie drauf, wer das
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