Das letzte Sakrament
während er Tamaras Hand so fest schüttelte, dass es ihr fast wehtat. Er bot der Kommissarin einen Platz in einer der hölzernen Bänke am Rande des Kirchenschiffes an. Tamara nickte und setzte sich, Kunen ging kurz in die Knie, bekreuzigte sich und nahm neben ihr Platz. Hier waren sie zwar nicht so ungestört wie in einem Büro, aber kein Kirchenbesucher hielt sich in ihrer Nähe auf.
»Weshalb haben Sie uns verschwiegen, dass Sie in der Fremdenlegion waren?«, fragte Tamara ohne Umschweife.
»Ich verstehe nicht, was das mit Ihren Ermittlungen zu tun hat«, antwortete Kunen. »Ich war auch bei den Pfadfindern und habe …«
»Haben Sie es uns verschwiegen, weil Sie ein Motiv hatten, Bruder Obrist zu töten?«
»Ich?«, entgegnete Kunen erstaunt. »Wie kommen Sie denn auf so eine absurde Idee? Das ist doch …«
»Vikar Kunen!«, unterbrach Tamara ihn. Ihre Stimme war ein wenig lauter geworden, sodass mehrere Kirchenbesucher neugierig herüberschauten. »Der Bischof hat uns versprochen, dass Sie von jetzt an kooperieren. Davon merke ich überhaupt nichts. Wenn das so weitergeht, brechen wir hier ab und setzen das Gespräch auf dem Präsidium fort! Also, was ist Ihnen lieber?«
Tamara wartete gar nicht erst die Antwort des Priesters ab. »Wir wissen, dass Roland Obrist die Behörden seinerzeit informiert hat, dass Sie in der Fremdenlegion waren. Also spielen Sie uns nichts vor.«
Kunen nickte nur, er schien den Ernst der Lage begriffen zu haben.
»Warum hat Roland Obrist Sie verpfiffen?«
»Er hat mich nicht verpfiffen, wie Sie das nennen … Er wollte sich an das Gesetz halten … Er hielt es für seine Pflicht, die Behörden darüber zu informieren.« Kunen sprach langsam, er schien jedes Wort genau abzuwägen. »Ich konnte das verstehen … Es war ein Gewissenskonflikt, den er für sich auf diese Weise beantwortet hat.«
»Ihr Verhältnis muss nach dem Vorfall ziemlich angespannt gewesen sein, oder?«
»Ich habe ihm vergeben, wenn Sie das meinen«, entgegnete Kunen ohne eine Regung zu zeigen. »Im Übrigen bin ich nicht verurteilt worden.«
»Ich weiß, es gab eine außergerichtliche Einigung, weswegen wir den Vorfall auch nicht in Ihrem Führungszeugnis gefunden haben.« Tamara ärgerte sich immer noch darüber, dass ihr die Gerichtsverhandlung bei den Recherchen über den Vikar entgangen war. »Woher wusste Obrist eigentlich, dass Sie in der Legion gedient haben?«
»Ich nehme an, sein Bruder, der Bischof, hat es ihm erzählt«, sagte Kunen. »Ich habe bei meinem Eintritt in den Orden kein Geheimnis gemacht um meine Vergangenheit und meine Beweggründe. Hätte ich das getan, wüsste niemand davon. Dann säßen Sie jetzt nicht hier, und Sie würden den Mörder dort suchen, wo Sie ihn auch finden könnten.«
»Wo ich ihn suche, müssen Sie schon mir überlassen«, entgegnete Tamara knapp und strich sich durch die Dreadlocks. »Warum haben Sie eigentlich die Legion verlassen und sind zu den Jesuiten gegangen? Das ist ein recht ungewöhnlicher Weg, oder?«
»Gottes Wege sind unergründlich«, sagte Kunen und atmete tief durch. »Wir waren in Afghanistan im Einsatz. Ich war zwei Jahre dort.« Er rieb sich über die Stirn. Es schien, als belaste ihn die Erinnerung daran immer noch. »Es ereignete sich in meinem letzten Dienstmonat. Drei Wochen noch, und ich hätte nach Hause fahren können. Es geschah auf einer Routinepatrouille … erst war alles wie immer, doch dann fuhren plötzlich zwei voll besetzte Kleinbusse an unseren Transporter heran.« Er räusperte sich. »Dann ging alles ganz schnell«, fuhr er fort. »Einer der Busse rammte uns von vorne, während der andere uns hinten den Weg abschnitt. Sofort eröffneten die Aufständischen das Feuer … Wir waren sechs Mann plus drei Einheimische. Die Angreifer waren in der Überzahl.« Der Vikar schluckte. »In diesem Augenblick habe ich mir geschworen: Wenn ich das überlebe, trete ich in den Orden ein.«
»Einfach so?«, fragte Tamara.
»Haben Sie schon einmal Todesangst gespürt?«, entgegnete Kunen.
Tamara antwortete nicht. »Warum sind Sie damals überhaupt in die Legion eingetreten?«
»Das war ein Akt der Selbstdisziplinierung. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
»Selbstdisziplinierung? Obwohl es verboten war?«
»Damals dachte ich, dass ein Gesetz, das keinen Sinn ergibt, auch nicht befolgt werden muss.«
»Und heute?«
»Heute sehe ich das anders. Manche Regeln muss man einhalten, auch wenn man nicht versteht, warum es sie gibt. Der
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