Das letzte Sakrament
perfekt. Obwohl der Pontifex Maximus über seinen Schatten gesprungen war und eine beeindruckende Inszenierung geboten hatte, waren ihm zwei entscheidende Fehler unterlaufen:
Erstens hatte der Heiligen Vater sich direkt der Auseinandersetzung gestellt und versäumt, den Boden für seine Botschaften vorzubereiten. Mit seinem persönlichen Auftreten hatte der Papst den Jesusklon aufgewertet und ihn auf Augenhöhe gehoben. Der Mann war eben kein Politiker, sondern ein Ideologe.
Der zweite Fehler des Papstes war noch bedeutsamer: Seine Botschaft würde beim breiten Publikum nicht ankommen, denn sein Timing war das eines Anfängers. Wer am frühen Nachmittag eine Erklärung abgab, ging das Risiko ein, schon bis zu den Abendnachrichten widerlegt worden zu sein. Genau das hatte Simovic vor.
Natürlich spielte er nicht in derselben Liga wie der Papst, das wusste sogar Roger Simovic. Aber er hatte den Jesusklon entdeckt, war vom Vatikan verhaftet geworden und erst gestern wieder aufgetaucht. Also würde man ihm zuhören.
Er sah zu seinem Assistenten Jerome, der die Sekunden bis zum Auftritt herunterzählte. Simovic dachte daran, dass es wirklich an der Zeit war, den Kerl zu feuern. Das Aufnahmelicht schaltete auf Rot, und er setzte sein freundlichstes Lächeln auf.
»Liebe Zuschauer«, begann er und strahlte in die Kamera, als sei er in sie verliebt. »Hier ist Roger Simovic aus Rom. Ich freue mich sehr, wieder bei Ihnen sein zu dürfen.« Er blickte in das Publikum vor ihm, das nicht nur aus Reportern bestand. Fünfhundert Schaulustige waren ihm gefolgt, ein paar von ihnen applaudierten, einige jubelten sogar. Es waren deutlich weniger Zuschauer gekommen, als Simovic erwartet hatte. Er tröstete sich damit, dass die Sendung sehr kurzfristig angesetzt worden war und lächelte weiter.
»Wie Sie wissen, musste ich mehrere Tage unschuldig im Kerker des Vatikans verbringen und konnte erst heute meine Arbeit wiederaufnehmen. Doch ich möchte Sie nicht mit meinen persönlichen Erlebnissen langweilen, so interessant diese auch waren.« Er sparte sich die Bemerkung, dass diese Erlebnisse in der abendlichen Sondersendung ausgeschlachtet würden, in der ein einstündiges Interview mit ihm vorgesehen war. Dummerweise mit Treuhard, diesem Parasiten. Der Kerl hatte ihn während seiner Abwesenheit vertreten, ein anderer war so kurzfristig nicht aufzutreiben gewesen.
»Der Papst hat sich heute zum ersten Mal zu Wort gemeldet und alle Christen aufgefordert, nicht an den geklonten Jesus zu glauben, den wir vor wenigen Tagen kennenlernen durften«, sagte Simovic. Ein Bild des Jungen aus dem Video wurde eingeblendet, natürlich eines, auf dem er aussah wie ein erleuchteter Heiliger.
»Davon abgesehen, dass der Papst nur für einen Teil der Christen spricht, ist er nun nicht mehr der einzige Stellvertreter Christi auf Erden.« Aus dem Publikum kamen vereinzelte Zustimmungsrufe. Mehrere junge Männer in einem weißen Gewand, die direkt vor ihm standen, applaudierten. Sie sahen aus wie Jünger, die eine zweitausendjährige Zeitreise gemacht hatten.
»Lassen Sie uns die Fakten betrachten. Der kleine Junge ist ein echter Klon von Jesus Christus, das haben Untersuchungen mehrerer wissenschaftlicher Institute zweifelsfrei bewiesen. Auch die Nachforschungen des Papstes können nichts anderes ergeben, sofern sie nach wissenschaftlichen Maßstäben durchgeführt werden.«
Simovic hatte seine Stimme gegen Ende des Satzes deutlich angehoben und sprach jetzt wie ein Politiker bei einer Wahlkampfrede. Er zitierte einige prominente Wissenschaftler, ließ das schon bekannte Video des kleinen Jesus einspielen und wechselte anschließend das Thema. Für viele Zuschauer war Klonen noch immer etwas Unheimliches, und er wollte aufzeigen, dass es inzwischen eine alltägliche Praxis war, wenn auch nicht am Menschen selbst.
»1996 kam mit Dolly das erste Klonschaf auf die Welt. Seitdem hat sich einiges verändert. Wie wir wissen, war Dolly alles andere als perfekt. Schon von Geburt an war sie altersschwach, und sie starb bald. Aber überlegen Sie mal, mit welchen Handys wir 1996 noch telefoniert haben. Knochen, so schwer wie Blei, die nichts konnten außer telefonieren. Heute sind sie kleiner und leichter, aber wir telefonieren damit nicht nur, nein, wir gehen damit ins Internet, schießen Fotos und nutzen sie als Navigationssystem. Und genauso schnell hat sich das Klonen weiterentwickelt. Schon zwei Jahre nach Dolly wurde, fast unbemerkt von der
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