Das letzte Sakrament
eine Wolldecke. Nichts zu essen oder zu trinken. Also werden sie irgendwann kommen, um nach mir zu sehen. Zumindest hoffte er das. Sein Hals brannte vor Durst.
Er lehnte sich an die Wand und streckte die Arme nach oben so weit es ging. Vor Schmerz zuckte er zusammen, doch dann versuchte er es ein zweites Mal. Wieder spürte er den kalten Luftstrom. Über ihm schien ein Lüftungsschacht zu sein. Er schob den Tisch an die Wand und stellte sich darauf. Abermals reckte er die Arme. Da! Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, ertasteten seine Finger ein Lüftungsgitter.
Er stieg wieder hinunter, nahm den Stuhl, stellte ihn auf den Tisch an die Wand und kletterte wieder hinauf. Jetzt befand sich das Lüftungsgitter auf Kopfhöhe. Es war nur aus Blech, mit vier Schrauben in der Wand verankert. Er versuchte, die Schrauben mit den Fingern zu lösen, aber sie bewegten sich nicht. Er drückte mit den Händen gegen das Blech, erfolglos. Er versuchte es noch einmal. Wieder nichts.
Nein, jetzt nicht an die Schmerzen denken, einfach weitermachen.
Es hatte keinen Sinn. Er konnte das Blech nicht bewegen. Nicht in seinem Zustand. Enttäuscht stieg er wieder vom Stuhl und setzte sich auf den Tisch. Wenn ich nur einen Schraubenzieher hätte!
Plötzlich hatte er eine Idee. Er zog sein Jackett aus und riss einen der Knöpfe am Ärmel ab. Dann kletterte er wieder auf den Stuhl, nahm den Knopf und schob ihn in den Schraubschlitz. Er passte!
Pandera drehte den Knopf und spürte, wie die Schraube nachgab. Langsam löste sie sich.
Bald hatte er die vier Schrauben herausgedreht, nahm das Lüftungsgitter ab und tastete den dunklen Hohlraum ab, der sich dahinter befand. Es war ein Schacht, ungefähr siebzig Zentimeter breit und genauso hoch. Er legte das Gitter auf den Boden des Schachtes. Vielleicht würde er es noch benötigen.
Er zog sich an der Kante des Schachts hinauf und zwängte seinen Oberkörper in den Hohlraum. Oben angekommen atmete er erschöpft aus und legte sich auf den Boden des Schachtes. Seine Muskeln schmerzten und sein Herz pochte.
Pandera robbte Zentimeter um Zentimeter tiefer in den Schacht hinein. Nach gut zwei Metern stieß er auf ein Stahlgitter. Er rüttelte daran, doch es saß bombenfest. Er bot seine ganze Kraft auf, spannte jeden Muskel an, als müsse dieser nur noch das eine Mal funktionieren, doch es half nichts. Er war eingeschlossen. Nur der kalte Windzug, der ihm unaufhörlich entgegenblies, erinnerte an die Freiheit.
Aber seine Kraft reichte nicht aus, um weiterzukämpfen. Er packte das Gitter und stellte es zurück an seinen Platz, sodass niemand sofort erkennen würde, wo er sich befand. Dann legte er sich flach auf den Boden und deckte sich mit seinem Jackett zu. Er fror erbärmlich im kalten Luftzug, doch es war seine einzige Chance. Hatte er überhaupt eine? Und dann kam wieder dieser Gedanke. Er machte ihm Angst, unglaubliche Angst.
Warum? Warum sollen sie eigentlich kommen und nach mir sehen?
51
Roger Simovic war glücklich. Vor zweitausend Jahren hatten hier, im Circus Maximus, die großen Wagenrennen stattgefunden. An diesem Ort hatten sich die Sieger feiern lassen, und die Verlierer waren gedemütigt von dannen gezogen. Heute hingegen konnte man die Bedeutung des Circus Maximus nur noch erahnen, er sah aus wie ein mit Gras bewachsenes trockengelegtes Flussbett. Keine Ruinen, weder Gebäude noch Tribünen, erinnerten an den damaligen Prunk. Doch nicht das heutige Bild war das, was Simovic bezauberte, sondern die Symbolik. Der Circus Maximus war die größte Arena der Antike gewesen und hatte mehr als dreihundertfünfzigtausend Zuschauern Platz geboten. In späterer Zeit war der ovale Komplex dann verfallen und geplündert worden. Seine Überreste hatten unter anderem zum Bau des Petersdoms gedient. Womit sich für Simovic ein Kreis schloss, denn vor dem Petersdom hatte er bei seinem ersten großen Auftritt gestanden.
Nur zwei Stunden, nachdem der Papst seine lang erwartete Rede auf dem Petersplatz gehalten hatte, waren die Übertragungswagen auf das Gelände des Circus Maximus gerollt. Direkt vom Vatikan in den Circus Maximus. Ja, das war ein Bild, das ihm gefiel. Es war ein Wettkampf. David gegen Goliath! Roger Simovic gegen den Papst!
Der alte Mann in Weiß hatte sich gut verkauft, das musste Simovic zugeben. Er hatte sich die Aufzeichnung der päpstlichen Rede fünf Mal angeschaut und seine Replik mindestens genauso oft überarbeitet. Es hatte lange gedauert, aber jetzt war sie
Weitere Kostenlose Bücher