Das letzte Theorem
Vater Vergnügen bereitete. »Er hat bewiesen, dass … äh …«
»Die Kanäle«, half sein Vater aus.
»Genau, die Kanäle! Er hat bewiesen, dass es sich nicht um künstlich angelegte Kanäle handelt, erbaut von irgendeiner fortschrittlichen Marszivilisation, sondern um eine optische Täuschung.«
Ganesh nickte ihm aufmunternd zu. »Er war der Astronom - der wahrhaft bedeutende Astronom -, der den größten Teil seiner Arbeit hier in Trinco verrichtete, und er …«
Mitten im Satz unterbrach sich Ganesh und drehte den Kopf, um Ranjit ins Gesicht blicken zu können. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Weißt du, was ich tue, Ranjit? Ich zögere das Unvermeidliche hinaus. Ich bat dich nicht, hierherzukommen, um mich mit dir über Astronomen zu unterhalten. Wir müssen etwas anderes besprechen, das viel, viel ernster ist. Damit meine ich deine Beziehung zu Gamini Bandara.«
Jetzt war es so weit.
Ranjit holte tief Luft, ehe es aus ihm nur so heraussprudelte. »Vater, bitte, glaube mir! Es ist nicht so, wie du denkst! Für mich und Gamini ist es nur ein Spiel! Es hat nichts zu bedeuten!«
Zu seiner Verblüffung schaute sein Vater überrascht drein. »Es hat nichts zu bedeuten? Natürlich hat das, was ihr getan habt, nichts zu bedeuten. Dachtest du, ich wüsste nicht, dass junge Leute gern mit allen möglichen Verhaltensweisen herumexperimentieren?« Vorwurfsvoll schüttelte er den Kopf, dann fuhr er vehement fort: »Du musst dich auf mein Urteil verlassen, Ranjit. Das Ausprobieren verschiedener sexueller Praktiken spielt wirklich keine Rolle. Aber ich nehme Anstoß an der Person, mit der du dich vergnügst.« Seine Stimme klang wieder gepresst, als kämen ihm die Worte nur schwer über die Lippen. »Du bist ein Tamile, mein Sohn, das darfst du niemals vergessen. Und Bandara ist Singhalese.«
Zuerst dachte Ranjit, er hätte sich verhört. Er konnte nicht fassen, was sein Vater äußerte. Wie konnte er, der ihn immer gelehrt hatte, alle Menschen seien Brüder, jetzt so etwas sagen? Ganesh Subramanian hatte zu seiner Überzeugung gestanden, ungeachtet der Tatsache, dass die ethnischen Aufstände, die in den Achtzigerjahren begannen, Wunden geschlagen hatten, die erst im Laufe mehrerer Generationen heilen würden. Der tobende Pöbel hatte ein paar von Ganeshs engsten Verwandten getötet. Er selbst war mehrere Male nur um Haaresbreite dem Tod entronnen.
Aber diese Zeiten gehörten längst der Vergangenheit an. Damals war Ranjit noch nicht auf der Welt gewesen - selbst seine verstorbene Mutter war noch ein kleines Kind -, und seit vielen Jahren herrschte ein Waffenstillstand, der von beiden Seiten eingehalten wurde. Ranjit hob die Hand. »Vater«, beschwor er ihn, »bitte! So kenne ich dich gar nicht. Gamini hat niemanden ermordet.«
Unerbittlich wiederholte Ganesh Subramanian die schrecklichen Worte. »Gamini ist Singhalese.«
»Aber Vater! Was ist mit all den Grundsätzen, die du mich gelehrt hast? Mit diesem Gedicht von Purananuru, das ich auswendig lernen musste? ›Nach unserem Verständnis sind alle Städte geeint, und alle Menschen sind mit uns verwandt. Das zeigten uns die Visionen der Weisen.‹«
Er griff nach Strohhalmen. Sein Vater ließ sich nicht von zweitausend Jahre alten tamilischen Versen umstimmen. Ganesh gab keine Antwort, sondern schüttelte nur den Kopf, doch an seiner Miene konnte Ranjit ablesen, dass auch er litt.
»Also gut«, fuhr Ranjit unglücklich fort. »Was verlangst du von mir?«
Sein Vater sprach mit schleppender Stimme. »Das Unabänderliche, Ranjit. Du kannst nicht so eng mit einem Singhalesen befreundet sein.«
»Aber warum nicht? Wieso muss ich mich gerade jetzt von ihm trennen?«
»Mir bleibt in dieser Angelegenheit keine andere Wahl«, erwiderte sein Vater. »Meine Pflichten als Hohepriester dieses Tempels haben absolute Priorität, und diese Geschichte sorgt für böses Blut.« Er seufzte, ehe er weitersprach. »Du wurdest zur Loyalität erzogen, Ranjit. Es überrascht mich nicht, dass du zu deinem Freund halten willst. Ich hatte nur gehofft, dass du einen Weg finden könntest, auch deinem Vater gegenüber loyal zu sein, aber das ist vielleicht unmöglich.« Er schüttelte den Kopf, stand auf und blickte auf seinen Sohn hinab. »Ranjit«, erklärte er, »ich muss dir sagen, dass du von nun an in meinem Haus nicht mehr willkommen bist. Einer der Mönche wird dir für heute Nacht einen Schlafplatz zuweisen. Solltest du dich doch noch dazu entschließen, deine
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