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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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Getränken stellte er ein verlockendes Ziel dar; doch für die Jungen blieb es leider unerreichbar, weil dieser Raum anscheinend permanent von eben diesem Lehrkörper benutzt wurde.
    Gamini war es, der die Belüftungsschlitze des Umkleideraums für Mädchen in der Turnhalle der Pädagogischen Hochschule entdeckte - und dann auch reichlich Gebrauch von ihnen machte, was in Ranjit eine gelinde Verwirrung auslöste. Und in einem nicht ganz fertiggestellten, offenbar verlassenen Anbau, der zu dem an der Queens Road stehenden Gebäude gehörte, spürten sie einen richtigen Schatz auf. Ein verwitterter Schriftzug verriet ihnen, dass hier eine Schule für indigenes Rechtswesen eingerichtet werden sollte; dieser Plan stammte aus einer Zeit, als die Regierung nicht nur den Tamilen, sondern auch Muslimen, Christen und Juden demonstrativ Olivenzweige anbot.
    Die äußere Konstruktion war nahezu komplett und enthielt eine Reihe leer stehender Büro-und Unterrichtsräume, mit deren Ausbau man erst angefangen hatte. Mit der Bibliothek war man jedoch schon viel weiter gekommen, es befanden sich sogar Bücher darin. Laut Gamini, dessen Vater darauf bestanden hatte, dass er schon als Kind ein bisschen Arabisch lernte, wurden an der für Sunniten bestimmten Seite des Raums die
Werke von Autoren wie Hanafi, Maliki und Hanbali aufbewahrt, während die den Schiiten vorbehaltene Seite hauptsächlich Jaafri gewidmet war.
    Der gesamte verwaiste Bau verlangte förmlich danach, von den Jungen erforscht zu werden. Und sie unternahmen Erkundungstouren. Bald spürten sie einen Empfangsraum auf, der sogar möbliert war, wenn auch spärlich; der Schreibtisch bestand aus Sperrholz und die längs der Wand aufgereihten Klappstühle waren von der Sorte, wie man sie gewöhnlich in den Räumlichkeiten von Bestattungsunternehmen findet. Doch das war noch lange nicht ihre interessanteste Entdeckung. Auf diesem Sperrholzschreibtisch lang eine amerikanische Illustrierte, ein Magazin, das sich vornehmlich mit dem Leben von Hollywoodstars befasste; daneben stand ein vor sich hin blubbernder elektrischer Wasserkocher, und außerdem sahen sie einen in Alufolie eingewickelten Behälter, in dem sich irgendjemand sein Mittagessen mitgebracht hatte.
    Offenbar war der unbenutzt wirkende Bau doch nicht so verlassen, wie sie angenommen hatten. Aber niemand hatte ihr Eindringen bemerkt, und leise kichernd suchten sie das Weite.
    Mit Begeisterung warf Ranjit sich darauf, neue Dinge auszukundschaften. Das Studium an der Universität hingegen gefiel ihm nicht. Nach fast einem Jahr hatte er viel gelernt, doch das meiste davon hielt er für nutzlosen Ballast. Dazu gehörte seine neu erworbene Fähigkeit, die regelmäßigen französischen Verben zu konjugieren, und sogar ein paar der wichtigsten unregelmäßigen, wie zum Beispiel être. Das Positive daran war allerdings, dass er sich mit einer ausreichend guten Note durch den Französischkurs gewurstelt hatte, die dazu beitrug, seinen Status als Student für ein weiteres Jahr zu sichern.
    Selbst der verhasste Biologieunterricht wurde beinahe interessant, als dem (ebenso verhassten) Lehrer die Frösche zum Sezieren ausgingen, er die theoretische Diskussion über Krankheitsvektoren einstellte und stattdessen ein paar aktuelle Nachrichten aus den Medien in Colombo in den Unterricht einbezog.
Die Meldungen handelten von einer sich rasant ausbreitenden neuen Seuche namens Chikungunya. Der Begriff stammte aus der Swahilisprache und bedeutete »der gekrümmt Gehende«; Patienten, die an dieser mit starken Gelenkschmerzen einhergehenden Krankheit litten, nahmen zwangsläufig eine vornübergebeugte Haltung ein. Es schien, als hätte es den Chikungunya-Virus schon seit geraumer Zeit gegeben, doch nur wenige Menschen wurden davon befallen. Nun vermehrte er sich plötzlich rasant und infizierte die in dieser Region stets gegenwärtigen Schwärme der Aedes aegypti -Moskitos.
    Tausende von Bewohnern der Seychellen und anderer Inseln im Indischen Ozean litten plötzlich an Hautausschlag, Fieber und steifen, schmerzenden Gelenken. Und der Lehrer hielt seiner Klasse vor Augen, dass es in Sri Lanka immer noch zahllose Sümpfe und stehende Gewässer gab, die ideale Brutplätze für A. aegypti darstellten. In einem Punkt hingegen verhielt er sich neutral. Weder unterstützte noch entkräftete er das Gerücht, der Chikungunya-Erreger sei vielleicht als Waffe »umfunktioniert« worden - das heißt, man hatte ihn gentechnisch so verändert, dass

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