Das letzte Theorem
einen Drink behagte ihm. Auf einem kleinen Tisch standen verschiedene Getränke. Dankbar nahm er das große Glas entgegen, das Joris ihm anbot. Nachdem er es sich in einem Sessel bequem gemacht und den ersten Schluck getrunken hatte, richtet auch er seinen Blick auf den Mond, eine fast kreisrunde, silbern gleißende Scheibe. Das Licht, das er verströmte, war so hell, dass es beinahe zum Lesen ausgereicht hätte. »Glaubst du wirklich, dass du eines Tages da oben spazieren gehen wirst?«
»Das glaube ich nicht nur, das kann ich dir sogar garantieren«, behauptete Vorhulst. »Sicher, der Normalbürger wird auf ein Flugticket ein bisschen länger warten müssen als ich, denn
mich wird man bevorzugt behandeln. Und in diesem Fall würde ich auch auf kein einziges Privileg verzichten, das sage ich dir. Ich arbeite in einer führenden Position an dem Skyhook-Programm mit, und ein hoher Rang ist mitunter von Vorteil.« Als ihm Ranjits verblüffte Miene auffiel, schmunzelte er. »Was ist los? Bist du jetzt enttäuscht, weil ich meine Position ausnutzen würde, um mir Vergünstigungen zu verschaffen? Hattest du das nicht von mir erwartet? Na ja, normalerweise würde ich so etwas wirklich nicht tun, ich fände das irgendwie unfair anderen Leuten gegenüber, aber wenn es um die Raumfahrt geht, kenne ich keine Skrupel. Ich würde sogar eine Bank ausrauben, wenn das der einzige Weg wäre, um eine Reise ins All zu finanzieren.«
Ranjit schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte dieselbe Begeisterung für meinen Job aufbringen wie du für deinen«, erklärte er mit einem Anflug von Neid.
Dr. Vorhulst fasste seinen ehemaligen Studenten prüfend ins Auge. »Trink noch ein Glas«, schlug er vor und war schon dabei, Ranjit mit Nachschub zu versorgen. »Und dann erzähle mir mal, wie dir dein Job an der Universität gefällt.«
Nichts kam Ranjit mehr gelegen, als endlich sein Herz ausschütten zu können. Im Handumdrehen hatte er seinem alten Lehrer seine Probleme geschildert, und Joris Vorhulst brauchte noch weniger Zeit, um zu begreifen, was los war. »Zuerst lass uns ein paar grundlegende Dinge klarstellen«, schlug er vor, während er die Gläser abermals nachfüllte. »Wie lief dein erstes Seminar? Gab es genug Interessenten, die sich eingeschrieben haben?«
Ranjit nickte. »Es konnten nur fünfundzwanzig Teilnehmer angenommen werden, aber auf der Warteliste standen noch mindestens vierzig bis fünfzig weitere Namen.«
»Warum sind die Studenten daran interessiert, an einem Seminar teilzunehmen, das von dir geleitet wird? Nicht weil du ein großartiger Lehrer bist - selbst wenn dem so wäre, hätten
sie ja noch gar keine Gelegenheit gehabt, das herauszufinden. Auch nicht, weil abstruse Mathematik auf einmal populär wurde. Nein, Ranjit, du selbst bist es, der die Studenten so fasziniert, und die Art und Weise, wie du das Fermat’sche Problem jahrelang verfolgt hast. Warum bringst du den jungen Leuten nicht bei, sich deine Methode anzueignen? Wie man systematisch und hartnäckig auf die Lösung eines Problems hinarbeitet, das allgemein für unlösbar gehalten wird. Das wäre doch mal was anderes, findest du nicht auch?«
»Auf die Idee bin ich auch schon gekommen«, gab Ranjit mürrisch zu. »Ich wollte ein Seminar über exakt dieses Thema abhalten. Und weißt du, wie die Studenten darauf reagiert haben? Sie meinten, in meinen Vorträgen hätten sie bis zum Überdruss gehört, wie ich das Problem anging. Sie wollten etwas Neues.«
»Na schön«, erwiderte Joris. »Und wenn du ihnen zeigen würdest, wie jemand anders sich nach und nach vorarbeitete, bis er des Rätsels Lösung fand …«
Mit einem Funken Hoffnung sah Ranjit ihn an. »Huh«, entfuhr es ihm. »Ja, das wäre möglich. Ich weiß ziemlich genau, wie Sophie Germain versuchte, den Beweis für Fermats Behauptung zu finden - letzten Endes scheiterte sie zwar, aber trotzdem gelangte sie zu ein paar wichtigen Erkenntnissen. Sie kam sogar sehr weit, denke ich.«
»Aber das ist doch schon mal ein Ansatz«, sagte Vorhulst, während sich die Gedanken in Ranjits Kopf überschlugen.
»Moment mal«, rief er plötzlich aufgeregt. »Weißt du, was ich auch tun könnte? Ich könnte eines dieser berühmten alten Probleme zum Thema nehmen, die bis jetzt noch darauf warten, gelöst zu werden. Zum Beispiel Eulers Überarbeitung der Goldbach-Vermutung. Die Sache lässt sich mit wenigen, allgemeinverständlichen Worten erklären, aber bis heute konnte keiner den Beweis
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