Das letzte Theorem
schmunzelte. »Kein Wunder, mir geht es genauso. In China machte ich zufällig die Bekanntschaft einer Frau, die sich im ehemaligen Nordkorea aufgehalten hat und nun versuchte, mir das Ganze zu erklären. Es ist ziemlich kompliziert. Bei dieser Wahl kommt es nicht darauf an, in welcher Stadt oder welcher Region der Wähler lebt. Man sucht willkürlich zehntausend Menschen aus dem gesamten Land aus, die am selben Tag geboren wurden. Daraus bestimmt man, wiederum mithilfe eines Computers, nach dem Zufallsprinzip fünfunddreißig Personen, die diese Gruppe leiten. Die fünfunddreißig Leute treffen sich; sie glucken eine Woche oder meinetwegen einen Monat lang an irgendeinem Ort in Korea zusammen, und aus ihrem Kreis wird dann ein Vorsitzender beziehungsweise eine Vorsitzende gewählt, außerdem mehrere Leute, die als Entscheidungsträger für Belange der Infrastruktur fungieren, wie zum Beispiel Bauvorhaben. Überdies ernennen sie Richter, wählen Repräsentanten für die nationale Legislative und so weiter.«
»Das ist wirklich sehr verzwickt«, meinte seine Mutter. »Kaum noch zu überschauen, meiner Meinung nach. Und dann diese Geschichte, dass Personen nach dem Zufallsprinzip per Computer
ausgesucht werden. Das hat doch vor dreißig Jahren oder so schon mal ein Science-Fiction-Autor vorgeschlagen.«
Joris nickte. »Diese Leute kommen nun mal auf die innovativsten Ideen«, meinte er. »Allerdings kann das System erst funktionieren, wenn die Kommunikation wieder klappt - und das dürfte mindestens noch ein, zwei Monate dauern, denke ich. Vielleicht haben wir das Prinzip bis dahin verstanden.«
Nach dem Abendessen mussten die stolzen Eltern Joris zeigen, wie gut ihre kleine Tochter schwimmen konnte, und als dann Tashy zu Bett gebracht wurde, bestand Mevrouw darauf, auch ihr Sohn müsse sich aufs Ohr legen. Seit er das letzte Mal geschlafen hatte, war er um die halbe Welt geflogen, und es würde höchste Zeit, dass er sich ausruhte!
Also war auch diese Chance verpasst, Joris um Hilfe zu bitten. Später, als seine Frau und Natasha tief und fest schlummerten, schlüpfte Ranjit leise aus dem Bett; er fühlte sich wie überdreht, war viel zu nervös, um still zu liegen und darauf zu warten, dass der Schlaf ihn übermannte. Im Nebenzimmer setzte er sich vor den Fernseher und sah sich eine Nachrichtensendung an; die Lautstärke war gedämpft, um niemanden zu stören.
Der Sicherheitsrat hatte eine ernste und eindringliche Warnung an die Staaten gerichtet, die entweder in kriegerische Handlungen verwickelt waren oder sich rüsteten, irgendwo einen Streit vom Zaun zu brechen. Die neue Waffe, Stiller Donner, wurde nicht erwähnt, aber Ranjit zweifelte nicht daran, dass die Regierungen, die glaubten, ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen zu müssen, ihre Existenz einkalkulierten, wenn man sie nur energisch genug daran erinnerte. Er überlegte, ob er nicht doch einen Fehler begangen hatte, als er Gaminis Angebot ausschlug. Pax per Fidem schien überall dort zu wirken, wo sich etwas tat, während seine Stelle an der Universität von Colombo ihm immer mehr wie eine Sackgasse vorkam. Er stagnierte buchstäblich.
In einer seltenen Anwandlung von Groll schaltete er den Kasten aus. Er wollte sich wieder ins Bett legen und versuchen, ein bischen zu schlafen. Und er hoffte, am nächsten Morgen Joris unter vier Augen sprechen zu können, ehe er zur Baustelle aufbrach.
Dann stutzte er; von irgendwoher hörte er leise Musik.
Ranjit zog sich einen Morgenmantel über und ging nachschauen. Lange brauchte er nicht zu suchen. Auf dem Balkon mit Blick über die Gärten saß Joris, nippte an einem hohen Glas und betrachtete den Mond, während das Radio sanfte Musik spielte. Als er plötzlich bemerkte, dass Ranjit ihn beobachtete, setzte er ein verlegenes Lächeln auf. »Jetzt hast du mich erwischt. Ich denke gerade darüber nach, wo ich da oben am liebsten landen würde, wenn der Skyhook in Betrieb genommen ist und auch der Durchschnittsmensch zum Mond fliegen kann. In ungefähr fünf bis sechs Jahren dürfte es so weit sein. Was wäre wohl der interessanteste Ort für eine Erkundung? Das Mare Tranquillitatis, oder Cristum, oder irgendein Punkt auf der erdabgewandten Seite, nur um vor seinen Freunden damit angeben zu können, dass man da gewesen war? Die Entscheidung ist gar nicht so einfach. Setz dich doch zu mir, Ranjit. Wie wär’s mit einem Schlummertrunk?«
Nur zu gern kam Ranjit der Einladung nach, und auch die Aussicht auf
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