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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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ersten Mal Fermats Randnotiz las, wollte sich einfach nicht mehr einstellen. Myra bot eine Erklärung für diese Lustlosigkeit an. »Vielleicht liegt es daran, dass du älter geworden bist. Du kannst dich nicht mehr so begeistern wie früher.«
    Doch mit ihrer Theorie tippte sie weit daneben. Fermats Letzter Satz war etwas völlig anderes gewesen als die Rätsel, die jetzt noch ihrer Lösung harrten. Im Grunde war es ihm damals gar nicht um das Lösen einer mathematischen Aufgabe gegangen. Eines der bedeutendsten Genies in der Geschichte der
Mathematik hatte damit geprahlt, den Beweis für dieses Theorem gefunden zu haben. Und Ranjit wollte einfach nur feststellen, ob diese kühne Behauptung stimmte.
    Er versuchte es Myra zu erklären. »Hast du schon mal von einem Mann namens George Dantzig gehört? 1939 war er Doktorand an der UC Berkeley. Er kam zu spät zu einem Seminar und sah zwei Gleichungen, die der Professor an die Tafel geschrieben hatte. Im Glauben, es handele sich um die Hausaufgabe, schrieb Dantzig die Gleichungen ab und löste sie zu Hause.
    Der Witz an der Sache war, dass es sich nicht um eine Hausaufgabe handelte«, fuhr er fort. »Der Professor hatte die Gleichungen an die Tafel geschrieben, um seinen Studenten zwei Probleme der mathematischen Statistik zu zeigen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand hatte lösen können.«
    Myra schürzte die Lippen. »Willst du damit sagen, dass es Dantzig nicht gelungen wäre, die Lösung zu finden, wenn er das gewusst hätte?«
    Ranjit zuckte die Achseln. »Möglich wär’s.«
    Myra gab die Äußerung von sich, mit der normalerweise ihr Mann auf nebulöse Bemerkungen zu reagieren pflegte; sie sagte: »Huh!«
    Er musste grinsen. »Recht hast du! Und jetzt lass uns Tashy Schwimmunterricht geben.«
     
    Keiner, der die kleine Natasha de Soyza Subramanian kannte, hätte auch nur einen Augenblick lang daran gezweifelt, dass sie ein ungewöhnlich aufgewecktes Kind war. Sie war noch kein Jahr alt, da ging sie schon allein auf die Toilette, einen Monat später lief sie die ersten Schritte, und keine vier Wochen danach sprach sie das erste verständliche Wort - »Myra«. Und all das hatte sich Tashy selbst beigebracht.
    Es war durchaus nicht so, dass Myra ihrer Tochter nicht gern eine Menge beigebracht hätte. Aber sie war viel zu intelligent, um ihr Kind zu überfordern. Deshalb beschränkte sie
sich darauf, der noch nicht einmal zwei Jahre alten Tashy zwei Dinge beizubringen; das eine war Singen - zumindest die Töne nachzuahmen, die Myra ihr vorsang, und dann gab sie ihr Schwimmunterricht.
    Ranjit hockte auf dem Rand des Swimmingpools, ließ müßig die Beine im Wasser baumeln und sah mit strahlendem Lächeln zu, wie Myra mit der Kleinen herumplantschte. Nicht immer war er beim Zuschauen so entspannt gewesen. Er hatte erst lernen müssen, nicht jedes Mal in den Pool zu hechten, um Tashy zu retten, wenn sie mit dem Kopf kurz untertauchte. »Sie kommt immer wieder von selbst an die Oberfläche«, behauptete Myra, und sie hatte Recht. »Außerdem bin ich ja in der Nähe und pass auf.«
    Später, als Tashy abgetrocknet war und zufrieden in ihrem Laufställchen mit ihren Spielsachen spielte, schaltete Myra den Laptop ein, um die neuesten Nachrichten zu lesen. Als Ranjit bemerkte, wie ihre Miene sich verfinsterte, ging er zu ihr und spähte über ihre Schulter. Natürlich gab es nur schlechte Meldungen - wie immer.
    »Wäre es nicht schön«, sinnierte er, »wenn einmal etwas Gutes passierte?«
    Und dann trat genau das ein.
     
    Das Gute kam in Gestalt von Joris Vorhulst. Eines Tages betrat Ranjit das Haus, nachdem er wieder einen vollen Tag lang in seinem Universitätsbüro gegluckt und darüber gebrütet hatte, wie er sich sein Salär verdienen könnte, und als Erstes hörte er fröhliches Lachen. Er erkannte Mevrouws damenhaftes, ältliches Glucksen, das ausgelassene Kichern stammte von seiner lieben Frau, während der eindeutig männliche Bariton …
    Die letzten Meter bis zur Sonnenterrasse legte Ranjit im Laufschritt zurück. »Joris!«, rief er. »Ich meine Dr. Vorhulst! Meine Güte, bin ich froh, Sie wiederzusehen!«
    Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da merkte er, wie sehr er Joris Vorhulst tatsächlich vermisst hatte. Seit langem
wünschte er sich, endlich wieder einen Menschen zu treffen wie seinen alten Astronomieprofessor - aber nein, das stimmte ja gar nicht. Es war Joris Vorhulst, nach dessen Gesellschaft er sich sehnte. Joris Vorhulst, der den

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