Das letzte Theorem
allgemein bekannt. Der alte Lothar Collatz bekam nie die Publicity, die ihm eigentlich gebührt hätte. Pass mal auf, ich zeige dir was.« Er drehte seinen Laptop so um, dass beide den Bildschirm sehen konnten. »Denk dir irgendeine zweistellige Zahl aus - man könnte auch höherstellige nehmen, aber dann würde es zu lange dauern. Für welche hast du dich entschieden?«
Myra zögerte. »Ich nehme die Acht.«
»Gut. Und jetzt teile sie so oft durch zwei, bis keine ganze Zahl mehr herauskommt.«
»Acht, vier, zwei, eins. Hast du das gemeint?«
»Ganz genau. Warte einen Augenblick, bis ich sie eingetippt habe … So, und jetzt geht’s weiter. Wir nennen das Collatz’ Regel Nummer eins: Teile eine gerade Zahl so viele Male durch zwei, bis du keine ganze Zahl mehr erhältst. Und jetzt nenne mir irgendeine ungerade Zahl.«
»Hmm … fünf?«
Ranjit seufzte. »Von mir aus, dann machen wir es halt ganz einfach. Und jetzt wenden wir Regel Nummer zwei an. Wenn die Zahl ungerade ist, musst du sie mit drei multiplizieren und dann eine Eins hinzufügen.«
»Fünf mal drei ergibt fünfzehn, plus eins macht sechzehn«, rechnete Myra aus.
»Richtig. Jetzt hast du wieder eine ganze Zahl, und wir gehen noch einmal zurück zu Regel Nummer eins. Moment, lass mich das nur schnell eintippen.«
Als Ranjit die Zahlen Acht, Vier, Zwei und Eins eingab, und sie neben der vorher geschriebenen Reihe auf dem Schirm erschienen, hob Myra die Brauen. »Huh!«, wunderte sie sich. »Das sind ja dieselben Zahlen wie vorhin.«
Ranjit strahlte sie triumphierend an. »Genau das ist der springende Punkt. Du kannst jede beliebige Zahl nehmen, selbst die größte, die dir einfällt, aber wenn du dann diese beiden Regeln anwendest, kommt immer dieses Ergebnis heraus. Eine gerade Zahl musst du durch zwei teilen, eine ungerade mit drei multiplizieren und eine Eins addieren, und zum Schluss erhältst du jedes Mal dieses Resultat. Selbst wenn die Ausgangszahl sehr groß ist - warte, ich zeige es dir.«
Er tippte ein paar Programmieranweisungen ein und wählte dann als erste Zahl die Siebenundzwanzig. Nach Anwendung der beiden Regeln erschienen auf dem Schirm »81 … 82 … 41 … 123 … 124 … 62 … 31 … 93 … 94 … 47 … 141 … 142.. 71 … 213 … 214 … 107 …«, bis Ranjit den Vorgang stoppte. »Hast du gesehen, wie die Zahlen auf und ab hüpfen? Das ist ein schöner Anblick, und manchmal kommen richtig große Zahlen dabei heraus - in Carnegie Mellon haben ein paar Leute damit herumgespielt und Zahlen mit mehr als fünfzigtausend Stellen erhalten -, aber am Schluss steht immer die Eins.«
»Ist doch klar«, kommentierte Myra trocken. »Das muss doch so sein.«
Ranjit funkelte sie empört an. »Wir Mathematiker interessieren uns nicht für das Offensichtliche. Intuition hat bei uns keinen Platz. Wir verlangen Beweise! 1937 stellte Collatz die Vermutung auf, die besagt, dass es endlos so weitergeht. Aber das wurde nie bewiesen!«
Myra nickte zerstreut »Klingt nach einem guten Seminarthema.« Dann beschattete sie mit der Hand ihre Augen, spähte zum Pool und rief: »Leg jetzt lieber eine Pause ein, Tashy! Überanstrenge dich nicht!«
Ranjit eilte mit einem Handtuch zu seiner Tochter, die aus dem Pool herauskletterte, aber den Blick hielt er auf Myra geheftet. »Was ist, Myra? Du wirkst ein bisschen abwesend. Stimmt was nicht?«
Sie sah ihn liebevoll an, und plötzlich fing sie lauthals an zu lachen. »Ganz im Gegenteil, Ranj! Es ist nur - na ja, ich war noch nicht bei meiner Ärztin, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich wieder schwanger bin.«
31
Skyhook
Myra de Soyza Subramanian machte es noch weniger aus, sich um ihr zweites Kind zu kümmern als damals um ihr erstes. Seitdem hatte sich ihre persönliche Situation aber auch wesentlich gebessert. Zum Beispiel kam ihr Mann des Abends nicht mehr deprimiert nach Hause, weil er eine Arbeit ausübte, die ihn langweilte und die er sinnlos fand. Seine Studenten mochten ihn, und er mochte seine Studenten. Dr. Davoodbhoy war mit seiner Leistung mehr als zufrieden.
Auch in der großen weiten Welt war ein bisschen Ruhe eingekehrt, obwohl es immer noch ein paar Länder gab, die einfach nicht damit aufhören konnten, ihre Nachbarn zu bedrohen. Aber bei diesem »Säbelrasseln« blieb es dann auch. Durch kriegerische Aktionen kam kaum noch jemand zu Schaden.
Trotz Beatrix Vorhulsts Protesten waren sie dann doch endlich in ihr eigenes kleines Haus gezogen, wobei »klein« nur in
Weitere Kostenlose Bücher