Das letzte Theorem
hatte einen guten Start hingelegt. Jetzt fand Natasha die Zeit, um sich ihre Gegner anzuschauen. Doch zuerst zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus, denn es war ja niemand da, der sie sehen konnte. Dann bewegte sie sich mit äußerster Vorsicht - zwischen der Kontrollkapsel und dem Rigg waren Trägheitsabsorber angebracht, aber sie wollte nicht das geringste Risiko eingehen - an das Periskop.
Sie entdeckte die anderen Raumschiffe, die in der Schwärze des Weltalls seltsamen silbernen Blüten glichen, die jemand dort hineingepflanzt hatte. Die Santa Maria aus Südamerika, mit Ron Olsos am Ruder, war nur achtzig Kilometer von ihr entfernt. Der Segler besaß annähernd die Form eines Drachens, wie Kinder ihn gern am Strand fliegen lassen, nur waren die vier Seiten dieser Raute jeweils einen Kilometer lang.
Hinter der Santa Maria schwebte die Lebedev der Russian Cosmodyne Corporation wie ein übergroßes Malteser Kreuz;
man hatte diese Form gewählt, weil man glaubte, dass die vier kreuzweise angebrachten, breiten Segel sich optimal steuern ließen.
Im Gegensatz dazu sah die australische Woomera (der Name bedeutete eine Speerschleuder der Aborigines) aus wie ein altmodischer runder Fallschirm, allerdings mit einem Umfang von fünf Kilometern.
Die Arachne von General Spacecraft erinnerte, wie ihr Name schon sagte, an ein Spinnennetz. Sie war sogar nach derselben Methode gebaut worden, wie eine Spinne ihr Netz anlegt, indem Robotershuttles von einem zentralen Punkt ausgehend das Segel spiralförmig ausbreiteten.
Für Eurospace war die Gossamer gestartet; auch ihr Segel ähnelte einem Spinnennetz, aber es war kleiner als das der Arachne .
Das Schiff der Volksrepublik China, Sunbeam , besaß ein Segel in Form eines flachen Rings mit einem kilometerweiten Loch in der Mitte; es rotierte langsam, damit es durch die Zentrifugalkraft versteift wurde. Diese Idee war nicht neu, wusste Natasha, aber bis jetzt hatte sie in der Praxis noch nie wirklich funktioniert. Sie war sich ziemlich sicher, dass das asiatische Schiff in Schwierigkeiten geraten würde, sowie die Sunbeam sich zu einer Wende vorbereitete.
Aber bis es so weit war, vergingen mindestens noch sechs weitere Stunden, wenn sämtliche sieben Solarsegler das erste Viertel ihres vierundzwanzig Stunden dauernden geosynchronen Orbits hinter sich hatten. Das Rennen hatte gerade erst begonnen, und im Augenblick steuerten alle Schiffe von der Sonne weg, sie segelten sozusagen vor dem Solarwind. Jedes musste aus dieser ersten Etappe so viel Schwung wie möglich herausholen, ehe die Gesetze der Orbitalbewegung sie um die Erde herumschleuderten. Wenn dieser Punkt erreicht war, würden sie plötzlich direkt auf die Sonne zufliegen. Und erst dann mussten die Piloten beweisen, dass sie ihr Schiff zu steuern verstanden.
Noch war keine große Geschicklichkeit erforderlich, um die Segler zu lenken. Mit Navigation brauchte Natasha sich zurzeit nicht zu befassen. Mit dem Periskop prüfte sie gewissenhaft ihr Segel und inspizierte jede einzelne Stelle, an der das Rigg befestigt war. Die Wanten, schmale Bänder aus einer nicht versilberten Kunststoffmembran, wären unsichtbar geblieben, hätte man sie nicht mit fluoreszierender Farbe beschichtet. In Natashas Periskop erschienen sie als straffe Linien aus buntem Licht, die sich mehrere Hundert Meter weit in Richtung des gigantischen Segels erstreckten. Jedes dieser hauchdünnen, aber extrem belastbaren Kabel war mit einer eigenen kleinen elektrischen Winde ausgerüstet, die nicht viel größer war als die Rolle an einer Angelrute zum Fliegenfischen. Diese computergesteuerten Winden drehten sich konstant und justierten die Kabel, während der Autopilot das Segel auf den idealen Stellwinkel zur Sonne trimmte.
Natasha konnte sich nicht sattsehen an dem Anblick, wie sich das Sonnenlicht in dem gewaltigen Segel spiegelte. Das Segel vollführte langsame, wellenförmige Bewegungen und ließ eine Vielzahl von Bildern der Sonne über die Fläche wandern, bis sie an den Rändern verblassten. Diese gemächlichen Schwingungen stellten natürlich kein Problem dar. Bei einer derart riesigen und nur locker zusammengehaltenen Struktur ließen sich Vibrationen gar nicht vermeiden und blieben zumeist harmlos. Trotzdem behielt Natasha diese Wellen sorgsam im Auge und achtete auf Anzeichen, dass sie möglicherweise anfingen, sich hochzuschaukeln. Im schlimmsten Fall konnten sie sich zu den katastrophalen Wellen steigern, den sogenannten »Wriggles«,
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