Das letzte Theorem
Er schüttelte den Kopf. »Ägypten ist bei der Weltbank hoch verschuldet, und wenn auf einen Schlag sämtliche Kredite gekündigt würden und der Geldstrom in dieses Land versiegte, dann droht ein Staatsbankrott. Und zu sagen, die Ägypter verfügten ja über genug Gold - von diesen Außerirdischen -, um die Wirtschaft aus eigener Kraft am Laufen zu halten, ist eine Milchmädchenrechnung. Leider haben die Amerikaner Recht, wenn sie auf die Folgen einer so hohen Kapitalschwemme hinweisen. Wir hätten eine Inflation von nie gekannten Ausmaßen. Finanziell stünde die ganze Welt am Abgrund.«
Er blickte nach unten. Natasha, die neben ihm im Schneidersitz auf dem Boden hockte, wirkte auf einmal sehr nervös. »Möchtest du etwas sagen, meine Liebe?«, fragte er sie.
»Doch, ja«, gab sie zu. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum Ägypten ein so armes Land ist. Ich dachte immer, der Assuan-Staudamm hätte es reich gemacht.«
Der Präsident lächelte traurig. »Viele Leute hatten angenommen, dass Ägypten durch diesen Staudamm zu Wohlstand gelangen würde. Der Damm erzeugt zwar gewaltige Mengen von Elektrizität, aber viel von dem Strom wird exportiert, und die Landwirtschaft Ägyptens erhält einfach nicht genug von der im eigenen Land erzeugten Energie. Und Ägypten ist weitgehend ein Agrarstaat. Ein Geldsegen könnte in diesem Land wahre Wunder bewirken. Zum Beispiel könnte man neue Kraftwerke bauen.«
»Warum haben sie das nicht schon längst getan?«, erkundigte sich Natasha. »Wenigstens in einem kleinen Maßstab.«
Der Präsident warf ihr einen nachsichtigen Blick zu. »Weil der Staat nicht über die finanziellen Mittel verfügt. Sicher, es wurden Kraftwerke gebaut, aber nach einem Prinzip, das nicht dazu angetan war, die Produktivität des Landes wirklich zu fördern. Private Industriekonzerne haben den Bau der Kraftwerke
bezahlt, sie betrieben und jahrzehntelang Profite einkassiert, ehe sie sie dem ägyptischen Staat übereigneten. Doch dann waren die Werke bereits veraltet und die Betriebssicherheit war nicht mehr gewährleistet.« Abermals schüttelte er den Kopf. »Mein alter Freund Hameed hat mir das im Vertrauen erzählt. Und wenn die Amerikaner erführen, was er mir alles anvertraut hat, hätte das für ihn ziemlich unangenehme Konsequenzen.«
Ungeduldig biss sich Natasha auf die Lippe. »Und was können wir tun? Kann man überhaupt etwas tun?«, fragte sie gereizt.
Sie erhielt Antwort von unverhoffter Seite. Robert blickte von seinem Computer hoch. »’oldene’egel«, brummte er vorwurfsvoll.
Nigel De Saram lächelte und sah den Jungen freundlich an. »Du könntest Recht haben, Robert«, meinte er.
Gamini Bandara blickte verblüfft drein. »Was soll das heißen, er könnte Recht haben?«
»Nun, er spricht von der Goldenen Regel. Du weißt doch: ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.‹« erklärte der Anwalt. »Oder wie es in der Bibel der Christen steht: ›Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz.‹ Wenn jeder sich danach richten würde, dann sähe es auf der Welt anders aus. Einfacher kann man das oberste Gebot für ein friedvolles Zusammenleben wohl nicht ausdrücken. Wenn jeder - wir, die Amerikaner, die Aliens, einfach alle - nur so handeln würde, wie er selbst behandelt werden möchte, dann würden viele Probleme ganz von selbst verschwinden.«
Gamini blickte den alten Freund seines Vaters skeptisch an. »Bei allem Respekt, Sir, aber glauben Sie wirklich, dass diese Anderthalben sich von alten Sprichwörtern einer so primitiven Spezies wie der menschlichen Rasse oder deren abergläubischen … ä … ich meine religiösen Vorstellungen von Ethik und Moral beeinflussen lassen?«
»Ja, das glaube ich in der Tat«, bekräftigte der Anwalt. »Die Goldene Regel ist nicht nur ein Begriff, der in allen großen Religionen vorkommt. Anerkannte Philosophen haben dieselbe Aussage gemacht, nur mit anderen Worten und ohne sich auf eine höhere Macht zu berufen. Zum Beispiel Immanuel Kant, der Anfang des 18. Jahrhunderts geboren wurde. Seine Lehre vom ›Primat der praktischen Vernunft‹ war wegweisend für eine neue Schule von Philosophen. Von ihm stammt der Begriff ›Kategorischer Imperativ‹.« Er schloss die Augen und zitierte: »›Handle so, dass die Maxime deines Wollens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.‹« Er machte die Augen wieder auf und blickte in die
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