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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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wachhalten, er hatte Angst, einzuschlafen, doch wenn die Müdigkeit ihn übermannte, legte er sich doch hin und fiel dann jedes Mal in einen unruhigen Schlummer, aus dem er ständig hochschreckte.
    Der Somalier blieb nicht ständig bei ihm, um ihn zu bewachen, doch wenn er ihn allein ließ, vergaß er nie, die Kabinentür hinter sich abzuschließen. Ranjit überlegte es sich gut, ehe er das Risiko einging, auszuprobieren, ob er das Türschloss vielleicht manipulieren oder aufbrechen konnte, aber es ging nicht.
    Einige Male schaute Kanakaratnam bei ihm vorbei, als wolle er ihm einen Freundschaftsbesuch abstatten. Bereitwillig erklärte er Ranjit, was auf dem Schiff vorging. Am zweiten Tag auf See stürmten die Piraten - Kanakaratnam selbst benutzte diesen Ausdruck - die Brücke, entwaffneten die Besatzungsmitglieder, die nicht bereits vorher ihre Kameraden gewesen waren, und verkündeten, das Schiff würde nun Kurs auf den Hafen Bosaso in Somalia nehmen. Ehe man Ranjit freiließ, holten die Piraten sämtliche Wertsachen aus dem Safe des Schiffs und plünderten die Kabinen der Passagiere. Sie nahmen alles mit, was nicht niet-und nagelfest war und sich leicht transportieren ließ. Die Passagiere setzte man davon in Kenntnis,
dass sie nichts zu befürchten hätten und sich schon recht bald auf die Rückreise machen könnten, vorausgesetzt, ihre Familien oder Freunde brächten das verlangte Lösegeld auf. (»Du würdest dich wundern, Ranjit«, behauptete Kanakaratnam, »was manche Leute berappen, nur um ihre Oma wiederzukriegen.«) Die fetteste Beute war das Schiff selbst. Nachdem es erst einmal einen ganz bestimmten Hafen in Somalia angelaufen hatte und mit einem frischen Farbanstrich und geschickt gefälschten Dokumenten versehen war, ließ es sich besser verkaufen als der ganze übrige gestohlene Kram.
    Alles ging sehr geschäftsmäßig vonstatten. Kanakaratnam meinte, im Wesentlichen sei Piraterie auch nichts anderes als irgendein Handelsunternehmen. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sich die Seeräuberei zu einem eigenständigen und äußerst profitablen Wirtschaftszweig entwickelt mit etablierten Makleragenturen, die Lösegelder einsammelten und sie an die Piraten weitergaben; im Gegenzug garantierten sie die Freilassung und sichere Heimführung der Geiseln. »Tatsächlich«, gestand Kanakaratnam Ranjit, »war es das Beste, was mir passieren konnte, als die Polizei mich mit dem geklauten Krempel erwischte. Eigentlich sollte mein Zellengenosse in Batticaloa jetzt auf diesem Schiff sein, aber dann wurde er wegen einer weiteren Straftat verurteilt und kam nicht rechtzeitig aus dem Knast. Er hatte mir von dieser Sache hier erzählt, und als sich mir die Chance bot, abzuhauen, wusste ich, wohin ich mich wenden konnte.«
    Doch selbst wenn die Piraterie geschäftsmäßig betrieben wurde, hatte sie natürlich auch ihre unerfreulichen Seiten. Dazu gehörte, dessen war Ranjit sich sicher, ihr Umgang mit den Crewmitgliedern, die allzu erbitterten Widerstand leisteten. (Er fragte Kanakaratnam, wie sie mit diesen Leuten verfuhren, erhielt jedoch keine Antwort. Doch sein Schweigen verriet Ranjit genug.)
    Als Kanakaratnam Ranjit mitteilte, das Schiff sei endgültig in den Händen der Piraten, und er sein Gefängnis verlassen
durfte, stellte er fest, dass es zumindest einen hässlichen Zwischenfall gegeben hatte. Schuld daran war der Kapitän mit seinem ausgeprägten Pflichtbewusstsein. Er hatte sich geweigert, die Schlüssel für den Safe herauszurücken. Natürlich hatte man das Problem schnell gelöst. Die Piraten hatten den Kapitän auf dem Shuffleboard-Platz erschossen, vor den Augen des Ersten Offiziers, der sich daraufhin beflissen bückte, dem Toten selbst die Schlüssel aus der Tasche zog und sie anstandslos überreichte.
     
    Ranjit war noch nie zuvor auf einem Kreuzfahrtschiff gewesen. Trotz der beklemmenden Situation bot es auch jetzt noch allerlei Annehmlichkeiten. Auf dem Oberdeck befand sich ein Swimmingpool (in dem man sich bei starkem Wellengang jedoch lieber nicht aufhalten sollte, und zurzeit war das Meer ständig unruhig). Die Küche produzierte sehr gute Mahlzeiten, auch wenn diese dann von den Passagieren eingenommen wurden, die sich in niedergedrückter Stimmung an einer Seite des Speisesaals drängten und von Piraten mit Sturmgewehren bewacht wurden. Das Kasino war geschlossen, aber da man die Passagiere ohnehin um ihr gesamtes Bargeld und ihre Kreditkarten erleichtert hatte, womit sie ihre

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