Das letzte Theorem
Strand schützen. So angekleidet verließ er sein Versteck, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen.
Das Bild, das sich ihm bot, war fürchterlich, und der Gestank war noch viel entsetzlicher. Die Helikopter waren gelandet und standen in einer ordentlichen Reihe am Strand; heraus quollen mindestens hundert bewaffnete Soldaten - vermutlich Inder oder Pakistani, nahm Ranjit an, obwohl er mit den Angehörigen
beider Völker zu wenig vertraut war, um sie auseinanderhalten zu können. Wer immer sie waren, sie hatten die Leute, die sich auf dem Kreuzfahrtschiff befunden hatten, in vier Gruppen eingeteilt. Zwei bestanden aus Passagieren, eine für Männer und eine für Frauen, und diese separaten Gruppen hatte man zusätzlich mit eilig am Wasser aufgespannten Tüchern vor Blicken geschützt. Ein halbes Dutzend Soldaten verteilte Handtücher und Decken an die Passagiere, die sich im Wasser von ihren Exkrementen gesäubert hatten. Ranjit bemerkte, dass weibliche Armeeangehörige den Frauen behilflich waren; in ihren Uniformen, Waffen schwenkend, sahen die Soldatinnen alle gleich aus und wirkten irgendwie geschlechtslos.
Ein paar Dutzend Meter weiter am Strand bemühten sich ungefähr zwanzig bis dreißig unbewachte Männer und Frauen ebenfalls, den Schmutz von sich abzuwaschen. Hier stand niemand bereit, um ihnen Handtücher zu reichen, aber ein Stapel, von dem sie sich bedienen konnten, lag in ihrer Nähe. Ranjit erkannte ein paar dieser Leute und wusste, dass es sich um die Besatzung des Schiffs handelte, aber allein an den erleichterten Mienen, die die Crewmitglieder zur Schau trugen, hätte er sich denken können, wer sie waren. Die überbordende Freude über ihre Rettung in buchstäblich letzter Minute stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Dann war da noch eine weitere Gruppe. Den Leuten hatte man nicht erlaubt, sich zu säubern oder ihre Kleidung zu wechseln. Sie lagen bäuchlings im Sand, die Hände über den Köpfen verschränkt, und wurden von ein paar Soldaten mit schussbereiten Gewehren bewacht.
Es bestand nicht der geringste Zweifel daran, um wen es sich hier handelte. Ranjit betrachtete die ausgestreckt daliegenden Gestalten, doch ob jemand von den Kanakaratnams dabei war, konnte er nicht erkennen, da er nur deren Rücken sah. Allerdings schienen zumindest die Kinder nicht darunter zu sein.
Einer der Soldaten, die auf die Gruppe aufpassten, fing an, sich für Ranjit zu interessieren; er brüllte etwas Unverständliches und schwenkte sein Gewehr.
Ranjit dachte sich, dass er sich verdächtig machte, wenn er ganz allein durch die Gegend spazierte. »Ja, richtig!«, rief er dem Soldaten zu, wünschte sich, er wüsste, welche Frage oder Aufforderung er gerade bejaht hatte, und überlegte, wie er sich verhalten sollte.
Zu welcher Gruppe Ranjit gehörte, ließ sich nur schwer entscheiden. Aber zweifelsohne erhielten die Passagiere die beste Behandlung, deshalb winkte er dem Soldaten mit einem lässigen Wedeln der Hand zu, schlenderte zu der Gruppe Männer, die sich anstellten und auf saubere Kleidung warteten, und schloss sich ans Ende der Schlange an, während er dem alten Mann vor ihm freundlich zunickte.
Doch der dachte nicht daran, den Gruß zu erwidern. Stattdessen fasste er Ranjit einen Moment lang mit gerunzelter Stirn ins Auge, dann riss er den Mund auf und ließ einen Schrei los, um die Soldaten zu alarmieren. Als zwei prompt angerannt kamen, brüllte der Mann: »Der hier ist kein Passagier! Er gehört zu den verfluchten Piraten! Er hat versucht, aus mir herauszukriegen, wie viel Lösegeld meine Kinder für mich zahlen könnten!«
Im nächsten Moment lag Ranjit, mit dem Gesicht nach unten, die Hände über dem Kopf verschränkt, im Sand, zwischen zwei der größten und - weil man ihnen nicht die Gelegenheit gegeben hatte, sich zu waschen - am schlimmsten stinkenden Piraten. Stundenlang musste er in dieser unbequemen Position ausharren.
In dieser Zeit passierte so einiges, und gleich während der ersten Stunde lernte Ranjit zwei wichtige Lektionen. Erstens durfte er nicht versuchen, den Kopf zu heben, um nach den Kanakaratnams Ausschau zu halten, denn dann erhielt er sofort einen Stockhieb direkt über seinem linken Ohr, während derjenige, der zuschlug, ihn anschnauzte: »Lieg still!« Der Schmerz,
der ihn durchzuckte, war so heftig, als sei er von einem Blitz getroffen worden. Zweitens war es ein Fehler, sich bei seinen Nachbarn im Flüsterton nach irgendwelchen Informationen zu
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