Das letzte Theorem
Amerika. Die sogenannte Triple-A-S hat mich eingeladen - die American Association for the Advancement of Science -, die nächsten Monat ihr jährliches Treffen abhält. De Saram hat schon alles organisiert. Und glaub jetzt bitte nicht, dass ich London für immer den Rücken kehre, Myra. Ich habe hier noch längst nicht alles gesehen, was mich interessiert. Wir kommen auf jeden Fall zurück, aber zuerst muss das Wetter ein bisschen milder werden.«
Sie buchten einen Flug in der ersten Klasse - eine andere dieser überaus generösen Stiftungen bezahlte die Tickets -, um mit einer American-Delta-Maschine nach New York City abzudüsen.
Noch am selben Tag flogen sie Punkt vierzehn Uhr ab, nachdem sie Sir Tariq ihren aufrichtig empfundenen Dank ausgesprochen hatten; um vierzehn Uhr zwanzig ließen sie England hinter sich und näherten sich der Ostküste Irlands.
Ranjit machte sich Sorgen. »Vielleicht ging dir das alles zu schnell, Myra«, meinte er. »Hoffentlich strengt dich diese Hetze nicht zu sehr an. Nicht dass dir noch schlecht wird …«
Doch Myra lachte nur und hielt der Flugbegleiterin ihr Glas hin, damit sie es mit Orangensaft auffüllte.
»Mir geht es prächtig«, beteuerte sie. »Ich finde auch, dass wir nach England zurückkehren sollten, wenn es schön warm
ist - im Juni zum Beispiel. Aber bist du dir wirklich sicher, dass du das Richtige tust, wenn du jetzt nach Amerika gehst?«
Ranjit verteilte Erdbeermarmelade und Sahne auf das weiche Teegebäck, das man ihnen serviert hatte, stopfte sich das Törtchen in den Mund und antwortete kauend: »Na klar bin ich mir sicher. Ich habe mir die Wettervorhersage für New York angesehen. Im Augenblick herrschen dort satte neun Grad, die sich im Laufe des Tages auf achtzehn Grad erhöhen werden. Das ist vollkommen akzeptabel. Ich habe schon erlebt, dass es in Trinco kälter war.«
Myra, die nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte, stellte ihr Glas ab. »Ach, mein Liebling«, seufzte sie. »Du warst noch nie in Amerika, oder?«
Plötzlich beunruhigt, wandte Ranjit ihr sein Gesicht zu. »Nein. Was soll diese Frage?«
Sie griff nach seiner Hand und streichelte sie. »Nun, wenn du noch nie drüben warst, dann kannst du vermutlich auch nicht wissen, dass in den Staaten manches noch sehr altmodisch ist. Dort rechnet man immer noch mit Meilen anstatt mit Kilometern. Und - aber reg dich jetzt bitte nicht auf - sie messen die Temperatur in Fahrenheit. Der Gefrierpunkt liegt bei zweiunddreißig Grad, der Siedepunkt bei zweihundertzwölf. Sagt dir das etwas?«
22
Die Neue Welt
Nicht nur, dass das Wetter in New York für Ranjit eine herbe Enttäuschung bereithielt, die Nachrichten, die sie in einem der vielen Fernseher in ihrer Hotelsuite sahen, stellten sich noch deprimierender dar als sonst. Es fing schon damit an, dass es in Südamerika, in dem lange Zeit keine Kriege mehr ausgebrochen waren, plötzlich wieder brodelte. Der Grund dafür war (wie einer ihrer amerikanischen Gastgeber ihnen erklärte) die tolerantere Einstellung der USA zum Drogenkonsum. In gewissem Maß war es nun erlaubt, Drogen zu erwerben und zu besitzen, und dadurch hatte man den kolumbianischen Drogenkartellen sozusagen das Wasser abgegraben.
Die veränderte Gesetzgebung machte es jedem amerikanischen Drogenabhängigen möglich, sich den Stoff, den er brauchte, zu einem niedrigen Preis in jeder x-beliebigen Apotheke zu kaufen. Die Dealer konnten ihr Zeug nicht mehr losschlagen und mussten sich nach anderen Einnahmequellen umsehen. (Und für den kleinen Dealer war es sinnlos geworden, kostenlose Drogen zum Probieren an Zwölfjährige zu verteilen. Diese Praxis sicherte ihm nicht mehr seine künftige Einnahmequelle, denn jemand, der jetzt noch süchtig wurde, hätte seinen Bedarf ohnehin nicht mehr bei ihm gedeckt. Im Laufe der Jahre sank in den USA die Anzahl an Drogensüchtigen beständig ab. Die älteren starben oder gingen auf Entzug, und immer weniger junge Leute wurden abhängig.)
Das war der Vorteil der neuen Gesetzeslage, die die Freigabe von Drogen gestattete. Aber es gab auch Nachteile.
Die Drogenbarone, deren Kokaplantagen keinen Profit mehr abwarfen, schielten begehrlich nach dem ebenso abhängig machenden Zeug, das ihre Nachbarn in Venezuela exportierten. Mit Erdöl ließ sich sogar noch mehr verdienen als mit Drogen! Aus den ehemaligen kolumbianischen Hochburgen des Drogenhandels zogen bewaffnete Trupps los und besetzten die Ölfelder Venezuelas. Die ziemlich kleine (und in
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