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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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übernahm.
    Sir Tariq al Diwani entpuppte sich als korpulenter älterer Herr mit einer ungebändigten Albert-Einstein-Mähne; er war freundlich und sprach reinstes OxCam-Englisch, ohne die Andeutung eines Akzents. Als sie ihn nach dem Grund dafür fragten, erwiderte er: »Nun ja, immerhin lebt meine Familie seit vier Generationen in London.« Und als er merkte, dass Ranjit die meiste Zeit unter der Kälte litt, schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn und rief: »Ach du meine Güte, als ich die passende Unterkunft für Sie aussuchte, habe ich mich für ein Luxushotel entschieden. Dabei hätte ich auf Komfort und Behaglichkeit achten müssen. Sie ziehen natürlich sofort um!«
    Danach wohnten sie in einem erst kürzlich gebauten, aber nicht besonders feudalen Hotel in South Kensington. Die Auswahl wunderte Myra ein wenig, bis sie mit dem Concierge gesprochen hatte. Schmunzelnd erzählte sie Ranjit, Sir Tariq hätte dieses spezielle Hotel für sie ausgesucht, weil es erstens in der Nähe einiger wichtiger Museen lag, die sie, wenn sie Lust auf Bildung hatten, mühelos erreichen konnten, und zweitens würden dort häufig arabische Ölscheichs mitsamt ihrem umfangreichen Gefolge Quartier beziehen, wobei sie gleich ein, zwei komplette Etagen mieteten. Die Ölscheichs hassten nichts mehr als Kälte, anscheinend stellten sie sich noch empfindlicher an als Ranjit. Nicht nur in ihren Privatzimmern musste es mollig warm sein, sondern auch im Hotelfoyer, in dem Schacht mit der Feuertreppe und sogar in den Aufzügen. Und der Hotelbesitzer überschlug sich geradezu, um diesen freigebigen Arabern jeden nur erdenklichen Wunsch zu erfüllen.
    Zwar war Ranjit kein freigebiger Ölscheich, aber die Früchte ihrer Großzügigkeit nahm er dankbar entgegen. Während der nächsten zwei Monate verbesserte sich seine Stimmung immer
mehr; er fühlte sich so energiegeladen, dass er die Nähe des Hotels zu der berühmten Museumszeile nutzen und sich einige dieser illustren Stätten ansehen wollte. Das Museum für Naturgeschichte war zwar ein zugiger, kalter Bau, aber die Exponate faszinierten ihn so sehr, dass er einer Odyssee quer durch London zustimmte, nur um dem großartigen British Museum, das sich in Gaminis Stadtteil befand, einen Besuch abstatten zu können. Dieses Museum war sogar noch grandioser - und noch zugiger und kälter -, doch er kam nicht umhin, einzugestehen, dass von Frösten heimgesuchte Länder wie Großbritannien den schwülwarmen, tropischen Regionen mitunter etwas voraushatten.
    Aber seine Zeit in London verbrachte er nicht nur damit, sich wie ein Tourist zu benehmen. Schließlich war er noch in einer anderen Eigenschaft dort. Er musste den Vortrag für die Royal Mathematical Society ausarbeiten, obwohl Ranjit im Wesentlichen genau das Gleiche sagte, was er bereits bei seiner Pressekonferenz in Colombo von sich gegeben hatte. Zwei Magazine baten dringend um seinen Besuch; Nature , weil sie seinen Aufsatz veröffentlicht hatten, und der New Scientist , der ihn damit verlockte, ihn in das beste Pub an ihrem Ufer der Themse zu führen.
    Es gab auch ein paar Pressekonferenzen, die De Saram schon im Vorfeld von Colombo aus arrangiert hatte. Und obwohl ihre Bilder an jedem Zeitungskiosk und gelegentlich auch im Fernsehen zu sehen waren, überredete Myra Ranjit, seine Thermo-Unterwäsche auszutesten, indem sie sich eines Abends vor den Buckingham Palace stellten, um sich die Wachablösung anzuschauen.
    Als sie später wieder in ihrem Hotel saßen, sah Ranjit sich genötigt zuzugeben, dass durch das lange Stehen in Eiseskälte keiner seiner Körperteile abgestorben war. Und noch etwas Erfreuliches war ihm aufgefallen. Die anderen Touristen, die zusammen mit ihnen das antiquierte Spektakel erlebten, hielten ihre Kameras ausschließlich auf die farbenfroh berockten Palastwachen
gerichtet, anstatt auf ihn und Myra. »Tante Bea hatte also doch Recht«, sagte er. »Wir können uns frei durch London bewegen, ohne dass jemand von uns Notiz nimmt. Die Stadt könnte mir richtig gut gefallen, wenn man sie nur rund tausend Kilometer weiter in den Süden versetzte.«
     
    Dazu ließ sich jedoch keiner hinreißen. Und als Ranjit es leid war, sich jedes Mal dick einzumummeln, nur um vom Hotel in ein Taxi zu steigen, das sie dann zu einem anderen Hotel brachte, wandte er sich an Sir Tariq, um vertraulich ein Wörtchen mit ihm zu reden. Danach rief er De Saram in Colombo an, um Myra hinterher breit grinsend zu eröffnen: »Wir fliegen nach

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