Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
aufbauen. Stattdessen hatte er gedacht, er könnte die Macht der neuen Regierung demonstrieren, indem er dem Bruder vergab. Und der Bruder war so dankbar gewesen – ja, geradezu mitleiderregend – und hatte versprochen, Lucas zu unterstützen, ihm zu helfen und Teil dieser neuen Stadt zu werden.
Doch trotz der Wachen, die den Bruder in Schach halten sollten, und trotz des Hausarrests, bei dem es ihm nur gestattet war, von seinem Haus zur Arbeit und wieder zurück zu fahren, setzte der Bruder alles daran, zu intrigieren, zu manipulieren und Unruhe zu stiften. Lucas hatte zwar keinerlei Beweise, aber er sah, was hier vorging, und er verdächtigte seine eigenen Leute, an diesen Machenschaften beteiligt zu sein. Die Menschen hatten Angst vor dem Bruder; sie glaubten immer noch an ihn. Aber Lucas wollte dafür sorgen, dass sich das änderte.
»Ich muss gehen«, sagte er wütend. »Ich muss die jungen Leute suchen.«
»Und du glaubst im Ernst, dass du sie findest?« Der Bruder schüttelte den Kopf. »Lucas, die Mauer ist verstärkt und auf Bruchstellen untersucht worden. Du selbst hast alle Schlüssel der Torwächter konfisziert. Niemand kann aus der Stadt hinaus und niemand kann herein. Du musst akzeptieren, dass sich das Böse innerhalb der Stadtmauern befindet. Du musst akzeptieren, dass du nicht alles kontrollieren kannst und dass du das System brauchst.«
Lucas schüttelte verwundert den Kopf. »Und das sagt ausgerechnet der Mann, der die Menschen in einem Ausmaß kontrollieren wollte, dass sie ohne seine Zustimmung nicht einmal Freundschaften schließen durften?«
Der Bruder zuckte die Achseln. »Ich kümmere mich eben um meine Schäfchen. Das ist doch kein Verbrechen, Lucas. Aber konzentrier dich ruhig auf die Mauer, wenn du dich dann besser fühlst. Ich bin sicher, Rab freut sich über Gesellschaft.«
Rab war der Wächter des Osttores. Dieser Abschnitt der Stadtmauer war eine besondere Schwachstelle wegen des Sumpflands ringsherum, sodass dort keine Wachen aufgestellt werden konnten. Aber eben wegen dieser Sümpfe war es auch unwahrscheinlich, dass von dort her jemand in die Stadt eindrang, worauf Rab jedes Mal hinwies, wenn Lucas ihn aufsuchte, befragte und die Mauer überprüfte. Schließlich hatte Lucas den Schlüssel konfisziert, weil er irgendwie dachte, er hätte alles besser unter Kontrolle, wenn nur er allein alle Schlüssel verwahrte. Jedenfalls hatte der Bruder recht. Die Mauer und die Tore wiesen keine Beschädigungen auf, niemand hatte versucht, gewaltsam in die Stadt einzudringen, und Rab schwor Stein und Bein, dass er keinen herein- oder hinausgelassen hatte. Der, der das tat, befand sich entweder bereits in der Stadt oder gelangte auf unbekannten Wegen hinein oder hinaus. Lucas wurde jedoch den Verdacht nicht los, dass der Bruder mehr wusste, als er zugab.
»Ich werde jeden Stein umdrehen und jeden Winkel der Stadt durchsuchen«, sagte Lucas mit leiser Stimme. »Ich werde herausfinden, wer dahintersteckt.«
»Mach, was du willst«, meinte der Bruder abweisend. »Das Dumme ist nur, dass wir kein System mehr haben, das unsere Bürger beschützt. Aber das weißt du ja, nicht wahr, Lucas?«
Lucas musterte ihn mit eiskaltem Blick. »Das System hat sie nie beschützt. Es hat sie mit eiserner Faust regiert und sie auf Schritt und Tritt überwacht«, sagte er ruhig.
Der Bruder zuckte die Achseln. »Und trotzdem haben sich die Menschen sicherer gefühlt. Und sie waren auch sicherer. Du hast das System abgeschaltet. Deshalb bist du für das Verschwinden der jungen Leute verantwortlich. Such sie, Lucas. Erklär den Familien, warum ihre Lieben verschwunden sind. Oder tu etwas, damit es endlich aufhört. Du könntest das System wiederherstellen und dafür sorgen, dass jeder Bürger wieder überwacht wird. Du könntest endlich etwas Sinnvolles tun und den Menschen beweisen, dass du dich um sie kümmerst.«
»Immer das System. Das ist deine Antwort auf alles.«
»Es war tatsächlich die Antwort auf alles«, entgegnete der Bruder mit eisigem Blick. »Und du und deine Terroristen-Freunde, ihr habt es zerstört.«
Lucas holte tief Luft. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er seine Gefühle versteckt, doch jetzt kamen sie hoch, obwohl ihm klar war, dass er sie kontrollieren musste. Sonst würden sie ihn übermannen und er wäre so wütend und verzweifelt, dass er nicht mehr den Willen hätte, weiterzumachen.
» Du bist hier der Terrorist, Bruder«, sagte er schließlich. »Du bist derjenige, der die
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