Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
»Ich glaube, die Menschen sollten nicht allein sein«, sagte sie schließlich. »Wir müssen Kontakte knüpfen. Wir müssen Teil von etwas sein. Deshalb haben Leute wie der Bruder Erfolg. Weil die Menschen am meisten Angst vor dem Alleinsein haben. Es gibt nicht viele, die so sind wie du, Lucas. Nicht viele, die so stark sind wie du. Aber versuch nicht, zu stark zu sein. Auch du brauchst andere Menschen, so wie jeder von uns.«
Marthas Stimme klang brüchig und Lucas spürte einen Kloß im Hals. Wusste sie es? Waren seine Gefühle so offensichtlich?
»Ich nicht«, sagte er. »Mir geht es gut.«
Martha schüttelte traurig den Kopf. »Du bist genau wie Linus. Er denkt auch, dass er niemanden braucht.«
Lucas musste das eben Gehörte erst einmal verdauen. »Und wo ist er? Linus, meine ich.«
Martha hob eine Augenbraue und lächelte bitter. »Er ist in einer Höhle in den Bergen und arbeitet wie ein Wilder.«
Lucas sah sie fragend an. »Woran arbeitet er?«
Martha seufzte. »Ich bin sicher, er wird es dir morgen erzählen. Ich kann es dir unmöglich erklären – ich verstehe es selbst kaum. Aber er hat sich in etwas verbissen, es geht um ein Lager, das vor ein paar Monaten an der Küste aufgetaucht ist. Eine neue Zivilisation, und ziemlich klein, glaube ich. Sie ist auf einmal auf dem Überwachungssystem aufgetaucht und dann offenbar wieder verschwunden, mitsamt einem Stück Küste.«
»Verschwunden?«, fragte Lucas ernst. Sein Interesse war geweckt.
Martha zog die Augenbrauen hoch. »Ich weiß nicht. Er hat immer gesagt, dass er nicht wüsste, wo sie hergekommen sind. Sie mussten ja von irgendwoher gekommen sein, aber laut den Satellitenbildern gab es jenseits dieser Insel nichts. Das heißt, dass es diese Leute entweder nicht gibt oder dass seine Informationen falsch waren. Als alle plötzlich verschwunden waren, hat er sich aufgeführt wie ein Verrückter, ist die ganze Zeit auf und ab gegangen, hat vor sich hin gemurmelt und stundenlang, nein, tagelang an seinem Computer gesessen.«
»Und dann ist er gegangen?«, fragte Lucas.
Martha nickte. »Linus ist nun mal ein Genie. Er hat das System aufgebaut. Er sieht die Welt mit anderen Augen als wir, er erkennt Zusammenhänge, die wir nicht erkennen, er ist den anderen immer zwanzig Schritte voraus. Das heißt, dass andere Menschen ihn einfach erdrücken, ihm im Weg stehen. Er musste arbeiten, er musste diesem … diesem Problem auf den Grund gehen. Und er musste es tun, ohne dass wir ihn aufhalten. Deshalb ist er in die Berge gegangen. Ich hoffe nur, dass er bald die Lösung findet, damit er wieder nach Hause kommt.«
»Ist das hier sein Zuhause? Ich dachte, Base Camp ist nur eine Übergangslösung.«
»Nein«, meinte Martha achselzuckend, »dieser Ort ist nicht das Zuhause; es sind die Menschen. Wir sind immer gemeinsam herumgezogen, und Linus hat uns immer gesagt, wann und wohin. Wir brauchen ihn. Und im Grunde braucht er uns auch – als Ausgleich, damit wir ihn daran erinnern, dass das Leben manchmal auch einfach gelebt werden muss, dass gemeinsam essen, schlafen, arbeiten … dass das alles genauso wichtig sein kann, wie die Welt zu retten.«
»Und du willst auf ihn warten? Hast du nicht manchmal den Wunsch, von hier wegzugehen?«
Martha schüttelte den Kopf. »Ich kenne Linus schon sehr lange. Er ist ein guter Mensch. Ein bisschen verrückt, auf jeden Fall ein Genie, aber anständig. Er wird es zwar nie zugeben, aber er braucht uns hier. In seiner Nähe. Er muss wissen, dass wir, wenn es sein muss, alles für ihn aufgeben würden.«
»Und du wärst bereit, das für ihn zu tun?«, fragte Lucas neugierig.
»Wir würden alle für Linus sterben«, sagte sie schlicht. »Er wird zwar schnell wütend, ist oft unausstehlich und völlig unmöglich, aber alles, was er tut, hat einen Sinn, auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Wie gesagt, er ist uns zwanzig Schritte voraus. Man muss einfach darauf vertrauen, dass man ihn letztendlich einholt. So weit hat er bis jetzt immer recht behalten. Und so weit hat er keinen falschen Schritt gemacht.«
»Also, wo ist er? Wie ist sein neues Lager?«, fragte Lucas.
Martha lachte. »Ich würde es nicht gerade als Lager bezeichnen. Es ist eher eine armselige Behausung. Er lebt in einer Höhle, nur mit seinem Generator und seinen Computern. Angel wollte ihm helfen, ein paar Zelte aufzustellen, aber er hat abgelehnt. Unter einem Vorwand musste er Linus eine Küche einrichten, sonst wäre er verhungert. Alle vierzehn
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