Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
waren, und als er Benjamin entdeckte, schlich er zu ihm.
»Ich habe Klarschiff gemacht«, sagte er und sah seinen Anführer vielsagend an.
Benjamin machte ein finsteres Gesicht und nickte. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Höchstens eine Stunde.« Er sah Linus an. »Und du behauptest, die Stadt hätte nichts damit zu tun? Es waren Männer aus der Stadt. Die Spitzel.«
Linus verzog das Gesicht. »Es sieht vielleicht so aus, als würden die Spitzel im Auftrag der Stadt handeln, weil sie für deren Bewohner Nahrungsmittel sammeln. Aber in Wahrheit ist es umgekehrt. Die Spitzel kommen nicht aus der Stadt. Diese beiden Männer handeln vielleicht im Auftrag der Stadt, aber sie tun es in ihrem eigenen Interesse. Wie dem auch sei, sie sind gefährlicher, als ihr euch vorstellen könnt.«
Benjamin schien Linus’ Worte erst verdauen zu müssen. Dann packte er Stern am Arm. »Stern, du musst eine Zeit lang die Führung der Siedlung übernehmen. Die Siedlung ist in großer Gefahr. Du musst die Leute in die Berge bringen, so wie wir es geübt haben. Die Vorräte dort reichen, falls nötig, für mehrere Monate.«
Stern nickte stumm.
»Sorg dafür, dass die Anweisungen genau befolgt werden. Ich kümmere mich darum, dass Raffy und Evie sicher von hier wegkommen. Dann stoße ich zu euch.«
»Natürlich, Benjamin«, sagte Stern etwas verwirrt.
»Schärf allen ein, dass sie stark sein müssen und dass wir das gemeinsam durchstehen.« Er entließ Stern, warf ihm aber zum Schluss noch einen Blick zu. »Geh jetzt«, befahl er. Dann wandte er sich wieder an Raffy. »Ihr müsst hier weg. Auf der Stelle. Euer Leben ist in Gefahr.«
Evie fing Lucas’ Blick auf und wurde rot. Sie schaute schnell weg und sah auf den Boden, auf das Bettlaken, auf irgendetwas.
»Vielleicht könntet ihr … uns ein paar Minuten allein lassen«, schlug sie vor, »damit wir uns fertig machen können?«
Sie lächelte Benjamin verlegen an und der nickte sofort.
»Natürlich. Tut mir leid. Wir warten draußen.«
»Da könnt ihr auch bleiben«, sagte Raffy. »Wir gehen nirgendwohin. Keiner von uns.«
»Ihr habt fünf Minuten«, meinte Linus verschmitzt. »Dann holen wir euch, ob ihr nun angezogen seid oder nicht.«
Linus verließ das Zimmer, gefolgt von Benjamin und Lucas. Evie holte eine Reisetasche hervor und stopfte ein paar Sachen hinein. Raffy setzte sich im Bett auf. »Wir werden nicht gehen, Evie. Stell die Tasche weg. Das ist ein Trick.«
Evie drehte sich ungläubig zu ihm um. »Ein Trick? Raffy, bist du verrückt? Benjamin hat selbst gesagt, dass wir wegmüssen.«
»Weil Lucas ihn überzeugt hat. Es geht um Lucas«, sagte Raffy kopfschüttelnd und verengte die Augen zu Schlitzen. »Er kann es nicht ertragen, dass ich glücklich bin. Du kennst ihn nicht. Nicht wirklich. Ich gehe nirgendwohin mit ihm. Und du auch nicht.«
Evie schüttelte verwundert den Kopf. »Du musst deine Wut auf Lucas überwinden«, sagte sie. »Hier geht es nicht um euch beide. Es geht nicht immer um dich und Lucas.«
Raffy sah sie finster an. »Ich sehe schon, er hat dich genau da, wo er dich haben will. Aber das war schon immer so, oder?«
Evie schüttelte verzweifelt den Kopf. Dann zog sie den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu. »Weißt du was?«, sagte sie und zupfte an einem Gewand herum. »Ich gehe. Und wenn du dich nach allem, was wir durchgemacht haben, wie ein Idiot aufführen willst, dann ist das okay. Aber ich werde nicht untätig hier herumhängen. Du kannst bleiben und tun, was du willst.«
Evie ging zur Tür, aber Raffy sprang aus dem Bett, riss ihr die Reisetasche aus der Hand und warf sie auf den Boden. »Nein!« Er ging auf sie los und packte sie an den Handgelenken. »Wenn du mich liebst, dann gehst du nicht, dann bleibst du bei mir.«
»Fertig?« Linus’ Gesicht erschien in der Tür. Als er sah, wie Raffy Evie festhielt, runzelte er die Stirn. »Los, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Wir kommen nicht mit«, erklärte Raffy mit leiser, angespannter Stimme. »Wenn Benjamin uns hier nicht mehr haben will, dann gehen wir eben woandershin. Aber auf eigene Faust. Ohne jede Hilfe.«
»Nein, Raffy«, sagte Evie. »Lass mich los.« Sie starrte auf Raffys Hände. Er ließ ihre Handgelenke los, und seine Arme fielen schlaff herunter. »Pack jetzt dein Zeug zusammen«, befahl sie.
Sie hatte sich noch nie so wütend, noch nie so beherrscht erlebt. Und zu ihrem Erstaunen widersprach Raffy nicht, bedrohte sie nicht und verlor auch nicht die Kontrolle.
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