Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Er sah sie nur mit blitzenden Augen an, schüttelte den Kopf und packte seine Tasche.
35
D evil sah sich um. Stell den Aktenkoffer an dem Fußweg ab, hatte Thomas gesagt. An dem Fußweg in seiner Siedlung. Versteck ihn da, wo keiner ihn sieht. Und dann lauf weg, weit weg. Aber Devil wollte nicht weglaufen. Er wusste, was in dem Aktenkoffer war. Er hatte nachgesehen.
Er stellte den Koffer ab und begann auf und ab zu gehen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Thomas wusste, was er tat. Er musste es wissen. Er war klug. Er verstand sein Handwerk. Er wusste alles über Devil. Er hatte ihn ausgewählt, und Devil wollte ihn nicht enttäuschen.
Er sollte verschwinden und machen, dass er wegkam, hatte Thomas gesagt.
Aber er konnte nicht. Noch nicht. Erst wenn er sich sicher war. Aber inwiefern sicher? Was sollte er sonst mit dem Aktenkoffer machen? Er öffnete ihn noch einmal ganz vorsichtig und ließ die Finger über die Verschlüsse gleiten. Er schluckte und spürte einen Kloß im Hals. Ihm wurde flau im Magen. Laut Zeitschaltuhr waren es noch dreißig Minuten. Dreißig Minuten und fünfunddreißig Sekunden. Vierunddreißig Sekunden. Dreiunddreißig …
Thomas wollte, dass er das tat. Und sein Vater wollte es auch. Thomas sprach viel von Devils Vater. Der habe Devil nicht vergessen, sagte er. Er hatte seine Familie verlassen müssen, aber er hatte Thomas gebeten, auf Devil aufzupassen. Devil sei ein Gewinner, hatte er Thomas erklärt, und er solle seine Gemeinde übernehmen. Sein Sohn sollte ein Anführer werden, genau wie er. Bald wäre Dalston nur noch ein böser Traum, bekam Devil regelmäßig von Thomas zu hören.
Ein böser Traum oder ein beschissenes Trümmerfeld?
Devil wischte sich über die Stirn. Sein Herz schlug so schnell, dass er meinte, es müsse jeden Moment zerspringen. Noch achtundzwanzig Minuten und zwölf Sekunden. Elf …
Er musste von hier verschwinden. Das Ganze ging ihn nichts an. Er machte nur seinen Job. Um sich zu bewähren. Um zu beweisen, dass er das Zeug dazu hatte.
Das Zeug wozu? Menschen zu töten?
Er starrte auf den Aktenkoffer. Blickte hinüber zur Siedlung. Er hasste und verabscheute sie. Aber er wollte nicht, dass alle starben. Die Leute, die hier lebten, waren in Ordnung. Man konnte gut mit ihnen auskommen.
»Mach deinen Job und danach erwartet dich ein neues Leben, Devil.«
Devil sah sich hektisch um. Dann nahm er auf einmal den Aktenkoffer und rannte los. Er war noch nie so schnell gerannt. Er lief in Richtung des Ödlands, das hinter der Siedlung lag. Während er rannte, schrie er und scheuchte ein paar Leute auf, die hinter der Siedlung herumlungerten. »Verschwindet von hier«, brüllte er. »Hier ist es gefährlich. Verdammt, haut ab! Das Ding hier fliegt gleich in die Luft.« Und die Leute rannten, rannten schnell, weg von Devil, weg von dem Aktenkoffer in seiner Hand. Schließlich fand er, was er suchte: das Loch, das für die Fundamente des Jugendklubs ausgehoben worden war. Zwei oder drei Meter tief. Devil warf den Aktenkoffer hinein und machte sich auf eine Explosion gefasst, aber nichts passierte.
Er drehte sich um und fing wieder an zu rennen; er wollte so weit wie möglich von der Siedlung weg.
Während er rannte, klingelte das Handy in seiner Tasche, und auf dem Display leuchtete Thomas’ Name auf.
»Ja?«, keuchte Devil.
»Hast du es getan?«, fragte Thomas.
Devil zögerte. »Ja.«
»Gut. Wo bist du jetzt?«
»Ich verlasse gerade die Siedlung.«
»An deiner Stelle würde ich rennen.«
»Ich renne ja«, sagte Devil. »Ich renne ja.«
Und während er rannte, sah er, dass die paar Leute, die er zuvor gewarnt hatte, gerade dabei waren, andere aus der Siedlung zu holen. Sie liefen nicht weg, sondern trommelten die Leute zusammen, holten die Menschen aus ihren Wohnungen und hämmerten gegen Türen. Devil wusste nicht warum, aber er fing an zu weinen. Die Menschen waren keine Schafe. Sie waren nicht schwach. Sie waren gut. Sie waren viel besser als er. Und er machte wieder kehrt und rannte zurück, hämmerte an die Türen, zerrte die Leute aus ihren Wohnungen und erzählte ihnen Geschichten von Gangs, die die Siedlung niederbrennen wollten, um ihnen klarzumachen, dass sie hier nicht mehr sicher waren. Es blieb keine Zeit mehr, aber er rannte trotzdem weiter und schrie, bis er heiser war und bis, soviel er sehen konnte, alle Leute die Siedlung verlassen hatten. Er folgte der Menge, die keine Ahnung hatte, wohin sie gehen sollte oder warum. Da klingelte
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