Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McCleary
Vom Netzwerk:
des Getreides, der Bohnen und der Kürbisse warten, aber sie verbrachte den Februar und den März damit, Brombeerbüsche auszugraben, die neben dem Feld hochwucherten, und die Scheune auszuräumen und den Hühnerstall auszubessern.
    An einem Tag im April grub sie gerade die Erde im Garten um und bereitete die Beete für die Kartoffeln vor, als Barfuß die Zufahrt heraufkam. Er blieb stehen und beobachtete sie eine Weile. Sie konnte spüren, wie seine Augen auf ihr ruhten, während sie den Spaten in den Boden stieß, Schaufeln voll Erde anhob und den Spaten umdrehte, um die gewendete Erde auf den Boden zurück fallen zu lassen. Schließlich hielt sie inne und sah ihn an. »Hallo«, sagte sie.
    Barfuß machte sich gar nicht erst die Mühe, ihren Gruß zu erwidern. »Sieh dich mal an«, sagte er. »Du bist völlig ausgezehrt. – Stell dich hier mit ausgebreiteten Armen hin, und niemand würde merken, dass du keine Vogelscheuche bist.« Er trat auf sie zu, nahm eine ihrer Hände, musterte ihren Handrücken, drehte sie um und betrachtete dann die Handfläche. Ihre Fingerknöchel waren geschwollen und aufgeplatzt, ihre Handflächen mit Schwielen übersät und ihre Fingernägel eingerissen und abgebrochen. Er ließ ihre Hand wieder los und sah sie an.
    »Trägst du ein Büßerhemd unter dem Flanell?«, fragte er. »Oder peitschst du dich einfach nur aus, bevor du zu Bett gehst?«
    »Das geht dich nichts an«, sagte sie.
    Er trat noch dichter an sie heran und beugte sich zu ihr vor, bis sie die rauen Stoppeln seines unrasierten Gesichts an ihrer Wange spürte. Es rüttelte etwas in ihr wach, eine Erinnerung.
    »Hör mir mal zu«, sagte er ihr mit leiser und bedächtiger Stimme ins Ohr, »du klammerst dich daran und lässt es weiterhin zu, dass sich all deine Schuldgefühle wie Efeu um deine Seele wickeln, und bald wird dein Sohn beide Eltern verloren haben. Ist es das, was du willst?«
    Er trat zurück und starrte sie jetzt mit seinen blauen Augen durchdringend an, was Jim immer als Barfuß’ »Scharfschützen-Starren« bezeichnete.
    »Ich kümmere mich um Jim«, sagte sie. »Daran hat sich nichts geändert.«
    »Ich bin mir sicher, dass du das tust«, erwiderte Barfuß. »Du willst doch, dass er zufrieden und stolz und in dem Glauben aufwächst, ein wertvoller Mensch zu sein, oder?«
    Sie war zu müde für ein Gespräch. »Natürlich.«
    »Man kann seinen Kindern nicht geben, was man selbst nicht besitzt«, entgegnete Barfuß.
    Sie sah ihn an. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte, sich für etwas zu interessieren, für irgendetwas.
    »Es spielt keine Rolle, ob du dich zu Tode schuftest oder noch ein wenig atmest. Du bist jetzt schon so gut wie tot, wenn du so weitermachst.« Er schwieg kurz und beugte sich dann wieder vor zu ihr. »Wenn du zu dem Schluss gekommen bist, dass du ein wertloses Stück Scheiße bist, weil bei deinem Laster der Gang rausgesprungen ist und die Weichen des Schicksals falsch gestellt waren, dann geh und erhänge dich und bring es hinter dich. Aber wenn nicht, wenn du es als das sehen kannst, was es war, ein tragischer Unfall, an dem niemand Schuld hatte, dann behandle dich mit derselben Rücksichtnahme, die du jedem anderen unter derartigen Umständen entgegenbringen würdest. Es ist deine Wahl.«
    Sie wandte ihren Kopf ab, um nicht mehr in diese Augen blicken zu müssen. Barfuß streckte die Hand aus und nahm ihr den Spaten ab.
    »Geh rein«, sagte er. »Ich habe dir etwas Tee auf die Arbeitsplatte in der Küche gelegt. Lass ihn zehn Minuten lang ziehen. Er wird dir helfen zu schlafen.« Er legte seine Hand an ihre Wange. »Ich liebe dich, und ich werde dich nicht aufgeben. Du musst mich nicht zurücklieben oder mit mir ins Bett gehen oder irgendetwas anderes tun, als aufhören, dich selbst zu quälen. Das reicht mir.«
    An jenem Abend trank sie nach dem Abendbrot den Tee von Barfuß und schlief anschließend zehn Stunden lang durch. Am nächsten Morgen ging sie nach dem Aufstehen in die Küche, machte kleine Pfannkuchen und gebratenen Speck und aß ein üppiges Frühstück. Anschließend ging sie zur Post und sagte Chet McNabb, dass sie Hilfe beim Pflügen benötige; ob er bitte herumfragen könne, sie würde von dem Geld aus Bills Lebensversicherung einen fairen Preis für die Hilfe bezahlen. Und am Abend wusch sie sich vor dem Zubettgehen gründlich die Hände, schnitt ihre Nägel und rieb etwas von der Salbe, die Barfuß dagelassen hatte, auf die schmerzhaften Risse in

Weitere Kostenlose Bücher